Bullenball
Morgen früh,
wenn der Amoklauf stattfinden soll, fahren wir dann das ganze Programm.«
Was bedeutete, dass ein Großaufgebot ausrücken würde. Rund um das
Gelände würden sie offene Präsenz zeigen. An den Eingängen würden sich Kollegen
platzieren, um Taschen zu filzen und die Schüler im Auge zu behalten.
Suhrkötter würde sich im Gebäude als Ansprechpartner für Eltern, Lehrer und
Schüler bereithalten, und den ganzen Tag über würden alle in Alarmbereitschaft
bleiben.
Hambrock warf einen weiteren Blick auf den Ausdruck. »Diese
Androhung unterscheidet sich von der ersten«, sagte er. »Hier geht es vor allem
um die Lehrer.«
»Das ist uns auch schon aufgefallen«, meinte Suhrkötter. »Gut
möglich, dass das nur ein Trittbrettfahrer ist. Er hat die Amokdrohung am
Montag verfolgt und sich gedacht: Das kann ich auch.« Dann stieß er die Luft
aus und schob seine Unterlagen zusammen. »Aber letztlich spielt das keine
Rolle. Auch Trittbrettfahrer kriegen das volle Programm. So ist es nun mal.«
»Also gut«, schloss Hambrock. »Dann wollen wir sehen, ob der sich
morgen früh blicken lässt.«
Nach der Besprechung verschwand er auf der Toilette. Auf dem Rückweg
warf er im Vorbeigehen einen Blick durch eine offene Tür. Sie gehörte zum
Beobachtungsraum, der mit einem venezianischen Spiegel vom Vernehmungsraum
getrennt war. Offenbar diente er gleichzeitig als Raucherzimmer, angesichts des
dichten Zigarettenqualms in der Luft. An einem kleinen Tischchen neben dem
Kaffeeautomaten entdeckte er Heike. Sie hielt einen dampfenden Plastikbecher in
der Hand und lächelte ihn schief an.
»Was machst du hier?«, fragte er verblüfft.
Mit einer Handbewegung deutete sie auf ihre Umgebung. »Nicht mehr zu
rauchen fällt mir gar nicht so schwer. Aber ab und zu ist es einfach wunderbar,
in einem verqualmten Raum zu sitzen und die Luft einzuatmen.«
»Alles in Ordnung mit dir?«
»Ich hab nur ziemliche Kopfschmerzen. Und dann krieg ich in
regelmäßigen Abständen Übelkeitsanfälle. Ich hab heute schon dreimal gekotzt.
Ganz ehrlich: Ich kann’s kaum erwarten, bis diese Phase vorbei ist.«
Er lehnte sich neben dem Vernehmungsspiegel an die Wand. »Ich freu
mich für euch«, sagte er. »Das wollte ich noch einmal sagen, falls das ein
bisschen untergegangen sein sollte.« Er war es nicht gewohnt, über seine
Gefühle zu reden. Trotzdem wollte er es versuchen. »Du wirst mir ganz einfach
fehlen. Es war schön, dich als Kollegin zu haben.«
Sie lachte. »Schon gut, Hambrock, du brauchst dir keinen
abzubrechen.« Mühsam erhob sie sich und warf den halb vollen Becher in den
Papierkorb. »Mir wird es auch fehlen, bei dir in der Gruppe zu arbeiten. Ich
dachte immer …« Sie stockte. Ihr Blick fiel in den Vernehmungsraum. »Den kenne
ich doch!«
Hambrock wandte sich um. Ein schmächtiger blasser Mann mit schwarzen
halblangen Haaren saß dort und wurde von einem Beamten befragt. Während des
Gesprächs funkelten seine dunklen Augen den Kollegen an. Es war schwer, sich
diesem glühenden Blick zu entziehen.
»Das ist … verdammt, wie hieß der noch? Ben … Ben …«
»Benedikt Steinhauser«, sagte ein Streifenbeamter, der hinter ihnen
den Raum betreten hatte und sich eine Zigarette in den Mund steckte. »Einer der
ehemaligen Schüler des Anne-Frank-Gymnasiums. Die werden hier der Reihe nach
befragt.«
Er ließ sein Feuerzeug aufflammen und inhalierte.
»Benedikt Steinhauser, ich wusste es doch.« Heike schüttelte den
Kopf. »Das ist ein Mitbewohner von Tim Wohlert. Du weißt schon, der Verdächtige
bei unserem toten Wachmann.«
Hambrock drückte einen Knopf, und im nächsten Moment konnten sie bei
der Befragung mithören.
»… völlig egal, was mit denen passiert«, sagte Benedikt Steinhauser
gerade. »Ob die leben oder tot sind, das interessiert mich doch gar nicht. Die sind
es nicht wert, dass man sich so einen Kopf um die macht. Mir jedenfalls gehen
die am Arsch vorbei.« Dabei blickte er den Beamten mit diesem brennenden Blick
an, der alles andere als Gleichgültigkeit vermuten ließ.
»Seltsamer Zufall, nicht wahr?«, meinte Heike.
Hambrock reagierte nicht. Er lauschte auf das, was der junge Mann
sagte.
»Ehrlich, die Mühe würde ich mir nicht machen«, fuhr er fort, »das
können Sie mir glauben. Ich bin zwar echt froh, nicht mehr in dieser
Scheißschule zu sein. Aber so sehr hängt mir das auch nicht nach, dass ich da
jetzt Amok laufen muss. Kann ich dann gehen?«
»Einen Moment bitte noch«, erklang
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