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Bullenball

Bullenball

Titel: Bullenball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Holtkötter
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längst vergessen.
Stattdessen klickte sie den Beitrag des Königs von Brook an. Eine neue Seite
öffnete sich, und sie begann zu lesen.
    Von ihrem Schlafzimmerfenster aus hatte Marie einen tollen Blick auf
die hügelige Landschaft der Baumberge. Kein Haus, keine Straße, nichts verdarb
das Bild. Es war die perfekte Aussicht. Nur Wälder, Wiesen und Hecken, die sich
über die sanften Hügel erstreckten. Wenn so wie jetzt der Mond schien, wurde
alles in silbriges Licht getaucht. Der Dunst erhob sich über den Feldern, und feuchte
würzige Luft zog zu ihr ins Zimmer.
    Sie saß am offenen Fenster und sog die Nachtluft ein. Es ging ihr
gut, sie fühlte sich beinahe schwerelos. Die aufwühlenden Gefühle der letzten
Tage, die Angst, die Panik, die Ausweglosigkeit – alles war wie fortgeblasen.
Sie war jetzt bereit, den nächsten Schritt zu tun. Sie würde Abschied nehmen.
Es war der richtige Ort und die richtige Zeit dafür.
    Auf der Fensterbank lagen eine Tonschale, ein Feuerzeug und ein
kleiner Stapel Fotos. Das waren alle Bilder, die sie von Jonas besaß. Vom
Anne-Frank-Gymnasium, aus der Jazzband, von Geburtstagspartys und von
Schulausflügen.
    Sie griff nach dem erstbesten Foto und betrachtete es. Wandertag in
der siebten Klasse: Jonas stand mit einem seiner Kumpel unter einer uralten Linde,
stützte sich auf einen morschen Ast und grinste in die Kamera. Marie nahm das
Feuerzeug und hielt die Flamme an den Rand des Bildes. Das Feuer fraß sich
schnell und gierig durch das Fotopapier. Sie ließ es in die Tonschale fallen.
Zuerst ging der Begleiter von Jonas in Rauch auf, dann verschwanden Jonas’
Beine und irgendwann sein grinsendes Gesicht, das sich in einer plötzlich
aufflackernden Stichflamme auflöste.
    Marie fühlte sich gut. Sie war traurig, aber auch erleichtert. Es
war richtig, was sie hier tat. Also nahm sie das nächste Foto und wiederholte
die Prozedur. Nach und nach verwandelte sich ihre Bildersammlung in einen Aschehaufen.
Am Ende blieb von Jonas nichts als Asche übrig.
    Marie ließ sich gegen den Fensterrahmen sinken. Sie war völlig erschöpft,
die Prozedur hatte sie angestrengt wie ein Arbeitstag auf dem Feld. Der Rauch
war in ihr Zimmer gezogen, es stank nach Feuer und Zerstörung. Aber auch das
gehörte dazu. Es war gut. Alles war jetzt in Ordnung. Es war vorbei.
    Ein leichter Wind kam auf, der die Asche aufwirbelte. Einzelne
verkohlte Schnipsel wurden übers Dach davongetragen. Jetzt musste Marie nur
noch eine einzige Sache erledigen. Sie musste zu Jule gehen und ihr die
Wahrheit sagen. Sie hatte keine Angst mehr davor. Morgen wäre es so weit, dann
würde sie sich endgültig befreien und ein neues Leben beginnen.

6
    Manchmal träume ich davon, es all den Arschlöchern zu
zeigen, die mir das Leben versaut haben. Glaubt mir, da kommen so einige
zusammen. Ich stelle mir vor, wie sie alle auf einer breiten Straße stehen,
dicht gedrängt, und dann erscheine ich auf einem Mähdrescher und häcksele mich
mitten hindurch. »Menschen ernten« nenne ich das. Eine geniale Idee, oder?
    Ich weiß noch, wie ich das erste Mal eine Waffe gehalten hab. Ein
geiler Moment. Ein Gefühl der Erhabenheit. Plötzlich gab es in mir drin nur
noch Ruhe und Kraft und Schönheit. Da war ich nicht mehr das kleine Arschloch,
das nichts zu melden hat. Ich konnte plötzlich der Welt die Knarre an den Kopf
halten und fragen: Hast du irgendein Problem?
    Exkurs Anne-Frank-Gymnasium: Wer da landet, hat echt nichts zu
lachen. Aber was will man erwarten – die Schule ist eben ein Spiegel der
Gesellschaft. Das Sagen haben die verwöhnten Arzt- und Anwaltssöhnchen, die mit
der goldenen Kreditkarte von Vati einen auf dicke Hose machen, mit schicken
Cabrios aufs Schulgelände brettern und sich fettärschig auf zwei Parkplätze
stellen. Dann sind da noch die blöden Tussis mit ihren Designerklamotten,
aufgebrezelt bis zum Gehtnichtmehr und mit demonstrativ zur Schau getragener
Verachtung. Hauptsache, die Eltern haben ein dickes Bankkonto und ordentlich
was zu melden.
    Echt, die benehmen sich alle so, als wären sie eine höher
entwickelte Spezies oder so was. Homo sapiens de luxe. Eben per Geburt schöner,
klüger und mächtiger als andere Menschen. Dabei haben die meisten nur einen Haufen
Scheiße im Hirn. Ihr müsst euch deren Gesichter mal bei der Matheprüfung
angucken.
    Und dann die Lehrer! Die tun ja gerne so, als wären sie total
sensibel und mitfühlend und aufgeklärt. Dabei haben die auch nur Augen für die
höheren

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