Bullenball
mal: Wann bist du geboren?«
»Am 12. Mai 1988.«
Mit den Zeigefingern arbeitete er sich langsam und konzentriert über
die Tastatur. Das nahm viel Zeit in Anspruch und wirkte auf Marie beinahe
autistisch. Du hättest in der Neunten den Schreibmaschinenkurs besuchen sollen,
dachte sie.
»Wie spät war das, als du bei Lütke-Zumbrink in den Festsaal
gegangen bist?«, fragte er.
»Na, so um halb drei.«
»Könntest du den Täter wiedererkennen?«
Sein Gesichtsausdruck veränderte sich. Er wirkte angespannt. Wie bei
einer Preisfrage, wo es für die richtige Antwort viel Geld zu gewinnen gibt.
»Ich glaube nicht. Ich habe ja kaum etwas gesehen.«
»Hm.« Er nickte. Sein Gesicht blieb verschlossen. »Kannst du den
Tathergang beschreiben? Was genau ist passiert?«
Sie erzählte in allen Einzelheiten, was geschehen war. Viel gab es
ja nicht zu berichten. »Und dann war da ein Schatten hinter mir«, endete sie,
»und im nächsten Moment war ich auch schon bewusstlos.«
»Ein Schatten also.«
Er schien darüber nachzudenken.
»Was ist los, Simon? Erwartest du eine bestimmte Antwort von mir?«
Er blickte sich um, als wolle er sichergehen, nicht belauscht zu werden.
»Hast du denn wirklich nichts gesehen, Marie? Gar nichts?«
»Nein, nichts. Wieso?«
»Ich frage nur, weil …« Er zögerte. »Hast du denn das mit Jules
Bruder noch gar nicht gehört?«
»Du meinst Niklas?«
»Ja. Er soll das gewesen sein mit diesen Amokdrohungen. Die Kollegen
haben ihn überführt. Sie wissen nur noch nicht, ob er das auch ernsthaft
durchziehen wollte.«
»Niklas? Nein. Unmöglich. Das muss ein Missverständnis sein.«
»Sie haben seinen Computer sichergestellt. Verstehst du? Es gibt gar
keinen Zweifel, dass er es gewesen ist.«
Marie wusste nicht, was sie darauf sagen sollte.
»Der Typ aus Emsdetten«, erklärte Simon, »dem hat das vorher auch
keiner zugetraut. Mit seinen komischen Äußerungen haben ihn alle für eine
Witzfigur gehalten. Und dann hat er der Welt gezeigt, was in ihm steckt.«
»Du meinst also wirklich, Niklas könnte den Amoklauf im Anne-Frank
geplant haben? Und jetzt glaubst du, er war der Schatten, der hinter mir
aufgetaucht ist?«
»Denk noch mal nach, Marie. Erinnerst du dich denn an gar nichts
mehr?«
Sie konzentrierte sich auf den Schatten, den sie gesehen hatte. Die
letzten Sekundenbruchteile, bevor sie ohnmächtig geworden war. Doch nichts.
Alles blieb schemenhaft und ohne Konturen.
»Ich weiß es nicht«, sagte sie. »Es tut mir leid, aber ich weiß es
wirklich nicht.«
Simon musterte sie wie einen Pokerspieler, der ihn austricksen
wollte. Dann setzte er ein gezwungenes Lächeln auf. »Also gut, dann war’s das.
Du musst nur noch unterschreiben. Und dann kommt doch mal vorbei, wenn ihr in
Nottuln seid. Ihr müsst mich unbedingt mal besuchen.«
Hambrock schlenderte nach der Durchsuchung über den Bauernhof zu
seinem Dienstwagen, um sich auf den Rückweg nach Münster zu machen, als ihn
über Handy die Neuigkeit erreichte: Eine Streife aus Nottuln hatte Niklas
aufgegriffen. Keine hundert Meter von ihnen entfernt war er gefasst worden, an
der Brooker Ortshaltestelle, wo die Busse nach Nottuln und Münster abfuhren.
Die Kollegen hatten ihn festgenommen und brachten ihn jetzt in die Coesfelder
Kreispolizeibehörde, wo er vernommen werden sollte. Hambrock bildete mit
Suhrkötter und zwei weiteren Kollegen, die sich das Spektakel rund um Niklas’
Festnahme nicht entgehen lassen wollten, einen Konvoi, in dem sie quer durch
die Baumberge nach Coesfeld fuhren.
Die Streifenpolizisten hatten erzählt, dass Niklas nach eigener
Aussage den ganzen Tag in Münster gewesen sei. Morgens im Schulbus habe er
beschlossen, die Schule zu schwänzen und stattdessen den Tag in der Stadt zu verbringen.
Eine Mathearbeit habe angestanden, und er sei überzeugt gewesen, ohnehin
durchzufallen.
Hambrock wusste noch nicht, was er davon halten sollte. Er wollte
sich den Jungen selbst einmal ansehen.
In Coesfeld angekommen, fragten er und Suhrkötter sich zu den
ermittelnden Kollegen durch. Die Vernehmung fand in einem Raum statt, der über
keinen venezianischen Spiegel verfügte. Das bedeutete, dass sie dem Geschehen
nicht vom Beobachtungsraum aus direkt folgen konnten, sondern sich in ein
benachbartes Büro quetschen mussten. Dort setzten sie sich in tiefe Sessel, die
aussahen, als wären sie vom Sperrmüll geholt worden, und beobachteten das
Gespräch über einen kleinen Monitor, der mit der Aufzeichnungskamera
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