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Bullenball

Bullenball

Titel: Bullenball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Holtkötter
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falls ihr denkt, Jule geht immer so aus dem Haus – auch da muss
ich euch enttäuschen. Sie ist verkleidet, weil heute ihr
Junggesellinnenabschied ist.«
    Vanessa trat neben ihn. »Oh Gott, wie sieht die denn aus?«, sagte
sie und kicherte.
    »Wer will, kann Jule bemalte Eier abkaufen. Also Männer, das ist die
letzte Chance, mit einem ein Meter sechzig großen Huhn zu flirten.«
    Ben hielt nach den anderen Ausschau. Er reckte den Kopf, doch er
entdeckte nur Marie und ein paar andere Freundinnen aus der Jazzband. Uli war
immer noch nicht zu sehen. Jule kletterte im Kostüm auf den Bullen und erntete
tosenden Applaus.
    »Wenn meine Freundinnen mir so ein Kostüm aufdrängen wollten«,
meinte Vanessa, »dann würde ich streiken.«
    Plötzlich entdeckte er Uli. Sie saß ganz am Ende seines Tresens
unter einer Kunstpalme. Für Jule und das Bullenreiten schien sie sich gar nicht
zu interessieren. Sie blickte nur ihn an.
    Er nahm einen Lappen und wischte über die Arbeitsflächen. Der
Gesichtsausdruck seiner Schwester reichte aus, um Wut in ihm aufkommen zu
lassen. Er kannte das bereits: Wenn sie zu viel getrunken hatte, wurde sie plötzlich
sentimental. So war das jedes Mal.
    Er warf den Lappen fort und ging zu ihr.
    »Was willst du?«, fragte er.
    Sie presste die Lippen aufeinander.
    »Wieso bist du nicht bei Jule?«
    »Ach, Ben, das ist doch total blöd. Wir reden nicht miteinander und
tun den ganzen Abend so, als ob wir uns nicht kennen würden. Das muss doch auch
anders gehen.«
    Er verschränkte die Arme. »Meinetwegen: Hallo, Schwesterherz. Na,
wie war dein Tag?«
    Eine junge Frau trat an den Tresen, um etwas zu bestellen. Ben
wollte zu ihr, doch Vanessa kam ihm zuvor und nahm die Bestellung entgegen. Er
warf ihr einen bösen Blick zu. Sie musste doch bemerkt haben, dass er keine
Lust hatte, mit seiner Schwester zu reden.
    »Ben, wollen wir nicht wenigstens versuchen, miteinander
klarzukommen? Früher haben wir uns besser verstanden. Was immer gewesen ist in
letzter Zeit, wir sind ja Geschwister. Das bedeutet dir doch auch etwas, oder?«
    Ben spürte Kälte in sich aufsteigen. Mit diesem Schmierentheater
drängte Uli ihn in eine Rolle, die er nicht wollte. Er wurde zu dem, der
Schläge austeilte. Trotzdem konnte er auf dieses Friedensangebot nicht eingehen.
Sie sollte erst mal nüchtern werden.
    »Ist es wegen Papa?«, fragte sie.
    »Was?« Er sah sie irritiert an.
    »Ich kann doch nichts für euren Streit.«
    »Nein, du hast mich ja auch immer verteidigt.«
    »Ich hab nur versucht, mich nicht einzumischen.«
    »Na, toll. Vielen Dank auch.«
    »Versuch doch mal, mich zu verstehen! Was soll ich denn deiner
Meinung nach machen? Der würde mir doch nicht mal zuhören.«
    Ben schwirrte der Kopf. Sie sollte verschwinden. Aufhören, die
Tatsachen zu verdrehen. Sie war doch der kleine Liebling seines Vaters, das
wohlgeratene Töchterchen.
    »Mir hört Papa nie zu, egal was ich sage. Ganz im Gegensatz zu dir.
Zu Hause dreht sich immer alles nur um dich, um seinen einzigen Sohn. Tu nicht
so, als wenn du das nicht wüsstest. Mich nimmt der doch gar nicht wahr. Ich
existiere überhaupt nicht für ihn.«
    »Hör auf damit! Nur weil du dich weigerst, Position zu beziehen,
verdrehst du jetzt alles.«
    Sie wirkte nun gar nicht mehr sentimental, ganz im Gegenteil. In ihr
Gesicht war ein harter Zug getreten.
    »Als wenn du jemals Position beziehen würdest. Tu doch nicht so, als
ob. Du machst einen auf rebellisch, dabei ist alles nur Fake. Du tust genau
das, was Papa von dir verlangt. Du studierst Medizin, du nimmst sein Geld, du
tauchst jedes Mal bei uns auf, wenn er nach dir ruft. In Wirklichkeit wehrst du
dich doch gar nicht gegen ihn. Das ist alles nur Attitüde.«
    Mühsam schluckte er seine Wut hinunter. Lass dich nicht von ihr
provozieren, dachte er. Morgen bist du auf dem Weg nach Brasilien. Wen
interessiert das alles noch?
    »Du stehst genauso unter seinem Stiefel wie Mama und ich. Tu doch
nicht so, als ob du was Besseres wärst.«
    Sie machte eine ruckartige Bewegung, und ihr Bierglas fiel um.
Flüssigkeit ergoss sich über den Tresen. Erschrocken blickte sie auf die
Bierlache. Es war, als wäre ihre Wut plötzlich verpufft.
    Er nahm einen Lappen und wischte das Bier auf. Das leere Glas
stellte er an den Rand des Tresens.
    »Ben, bitte. Können wir nicht normal miteinander reden? So wie
früher?«
    Er schwieg.
    »Ben, du fehlst mir. Ich hab doch sonst niemanden.«
    Er sah nicht auf. Wusch den Lappen aus und drehte den

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