Bullenball
Gedränge entstand.
»Mädels, es geht los!«, rief Uli in die Runde. »Gehen wir rein!«
Jule blickte sich nach Niklas um. Er stand an der Haltestelle und
betrachtete sie. Ein Lächeln umspielte seinen Mund. Sie ging auf ihn zu.
»In zwanzig Minuten kommt der nächste Bus. Da sitzen dann Jonas und
die anderen drin.«
»Schon klar. Ich hätte viel mehr Lust, mit euch mitzukommen.« Er
wirkte ganz schüchtern, als er sagte: »Das hat echt Spaß gemacht, Jule.«
»Ja, fand ich auch.«
Sie war ihm dankbar. Jetzt schaffte sie es endlich, Jonas für einen
Moment zu vergessen. Zwischen ihr und Niklas war es wie früher, zumindest
fühlte sich das gerade so an. Wie während ihrer Kindheit, bevor die Pubertät
aus Niklas einen anderen, viel komplizierteren Menschen gemacht hatte.
Jetzt fühlte sie sich wieder beschützt. Sollte doch passieren, was
wollte. Sie war schließlich nicht allein, sie hatte immer noch ihren kleinen
Bruder. Plötzlich hatte sie das Bedürfnis, ihm in irgendeiner Weise ihre
Gefühle zu zeigen. Doch sie wollte den Moment nicht zerstören. Also nahm sie
einfach ihren Korb, sagte: »Vielleicht machen wir ja mal wieder öfter was
zusammen« und schloss zu den anderen auf, während Niklas zurück ins gläserne
Haltehäuschen ging, um dort auf die Männergruppe zu warten.
An der Schlange vor dem Einlass kramte Jule ihre Eintrittskarte
hervor. Sie trat in die Halle, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Gäste strömten hinein. Es bildeten sich lange Schlangen an der
Garderobe. Das Foyer füllte sich. Gut gelaunte Menschen, erwartungsvolle
Gesichter. Die Party würde bald in Schwung kommen. An den Getränkeständen
wartete das Personal hinter dem Tresen. Alle waren bereit. Sie plauderten zwar
noch miteinander, ließen die eintreffenden Gäste dabei jedoch nicht aus den
Augen.
Ben wischte mit einem Geschirrtuch über seine Arbeitsfläche. Vanessa
schnitt noch letzte Limetten klein, obwohl die sich schon überall türmten.
Offenbar fiel es ihr schwer, einfach dazustehen und nichts zu tun. Trotzdem.
Das Zusammenarbeiten würde gut funktionieren, davon war Ben inzwischen
überzeugt. Vanessa war zwar immer noch ernst und etwas wortkarg, aber längst
nicht mehr so schroff wie zu Anfang. Sie respektierte ihn, das konnte er spüren.
Alles andere störte ihn nicht.
Er schämte sich ein wenig. Während Vanessa gerade ihren Freund
verloren hatte, war er nur Stunden von seinem Absprung in ein neues Leben
entfernt. Das Schicksal war ungerecht. Auch wenn er gar nichts dafür konnte,
fühlte er sich schuldig. Ihn drängte der Wunsch, es irgendwie
wiedergutzumachen. Aber das war natürlich Unsinn.
Harte Rhythmen drangen aus der Haupthalle. Die erste Band begann zu
spielen. Vanessa blickte auf. Sie schob die gewürfelten Limetten von ihrem
Schneidebrett in eines der randvollen Gefäße und betrachtete ihre Arbeit.
»Das reicht wohl fürs Erste«, räumte sie ein.
»Das denke ich auch.«
Dann wechselten sie und Ben einen Blick.
Und lächelten.
Die Markierungsstreifen auf der Fahrbahn leuchteten auf und verschwanden
wieder in der Dunkelheit. Nasses Laub klebte auf dem Asphalt. Es war rutschig
auf den Straßen, ihr Vater fuhr betont vorsichtig. Ab und zu kamen ihnen Autos
entgegen, und das Wageninnere wurde von Scheinwerfern erleuchtet. Dann war sein
Blick starr auf die Straße gerichtet. Er umklammerte das Lenkrad, als ginge es
darum, ein widerspenstiges Schwein in seine Schranken zu weisen. Er konnte wohl
nicht verstehen, warum seine Tochter keine Freude empfand. Also hielt er
einfach verbissen an seinem Plan fest. Und im Auto fiel kein einziges Wort.
Adelheid hielt ihren Blick auf die Straße gerichtet und fühlte sich
wie eine Todgeweihte. Sie ließ den Atem langsam und gleichmäßig fließen. Ganz
ruhig, bis sie keine Emotion mehr spürte. Draußen die weite Dunkelheit,
unterbrochen nur von vereinzelten Höfen mit hell erleuchteten Fenstern.
Vor ihnen strahlte plötzlich ein Schild auf, das zur Autobahn in
Richtung Münster wies. Ihr Vater setzte den Blinker und bog ab. Adelheid
konzentrierte sich wieder auf ihren Atem. Sie wollte sich vorbereiten. Ihr
blieb nicht mehr viel Zeit.
Die vergangene Nacht und den heutigen Tag hatte er in der leer
stehenden Garage verbracht. Sie gehörte zur Gaststätte von Lütke-Zumbrink und
befand sich gleich hinter dem Probenraum. Er wusste, dass er hier sicher war.
Die Garage stand seit Jahren leer, keiner würde sich hierher verirren.
Gestern Abend hatte er die Polizei
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