Bullenball
sie sich nicht zurückhalten und kauften
noch zwei Packungen Eiskonfekt. Als könnten der viele Zucker und die vielen
Kalorien darüber hinwegtäuschen, dass sie innerlich angespannt waren und ihre
Gedanken immer wieder zur Kongresshalle wanderten.
Wenigstens der Film hatte seinen Zweck erfüllt. Eine intelligente
und gut gemachte Liebeskomödie, die für zwei Stunden Ablenkung gesorgt hatte.
Doch mit dem Abspann kehrte die Realität zurück.
»Wie es Bernhard wohl geht?«, sagte Erlend. »Ob alles ruhig
geblieben ist?«
»Ihm wird schon nichts passieren. Keine Sorge.«
Heike hörte selbst, wie hohl ihre Worte klangen.
»Wir können ihn anrufen«, schlug sie vor. »Das wäre kein Problem.
Wenn es gerade nicht passt, wird er das Gespräch nicht annehmen.«
Doch Erlend winkte ab. »Nein, nein. Lass mal. Du hast recht, es wird
schon alles gut gehen.«
»Wahrscheinlich hast du dir deine Rückkehr nach Münster anders
vorgestellt«, bemerkte Heike.
»Schon. Ach, wenn ich wenigstens keine Angst um ihn haben müsste.«
»Er weiß, wie er sich in solchen Situationen verhalten muss. Er
passt auf sich auf, das hat er immer getan. Außerdem liegen wir vielleicht
falsch mit unserem Verdacht. Wenn die Indizienlage nicht so dünn wäre, hätte
der Polizeipräsident sich anders verhalten.«
Erlend schwieg. Sie gingen an den Kinosälen vorbei zur
Eingangshalle. Auf der Rolltreppe hakte sich Erlend bei ihr unter, den Blick
auf das Gewusel an den Kassen im Erdgeschoss gerichtet.
Heike betrachtete sie nachdenklich. »Bist du eigentlich gar nicht
sauer auf ihn?«
»Doch schon, natürlich.«
»Aber nicht so richtig, oder?«
»Na ja. Er ist, wie er ist. Ich kann das auch nicht ändern.«
Heike runzelte die Stirn. Sie hatte Erlend schon in ähnlichen
Situationen erlebt. Da war sie nicht so gelassen gewesen. Wenn Heike zwei
Wochen unterwegs gewesen wäre, und am Tag ihrer Rückkehr hätte sich Martin
trotz dienstfreiem Wochenende in seine Arbeit vergraben, ohne weiter Notiz von
ihr zu nehmen – dann wäre ziemlich was los gewesen, dafür hätte sie schon gesorgt.
Erlend stieß einen Seufzer aus. »Ich war zwei Wochen bei meinen
Eltern. Ich konnte das alles am Ende nicht mehr ertragen. Ich habe mich so nach
Bernhard gesehnt. Nach meinem Leben in Münster.« Sie lächelte. »Und da gehört
so was wie diese Sache eben dazu.«
Heike wollte ihrem Chef gar nicht in den Rücken fallen, trotzdem
konnte sie sich nicht verkneifen zu sagen: »Nur weil es woanders noch
schlechter ist, muss man sich zu Hause nicht alles gefallen lassen, oder?«
»Meine Eltern haben mir gezeigt, wie ich nicht leben will. Diese
gegenseitige Abhängigkeit, das ständige Erpressen, die Art, wie sie sich
fertigmachen. Ich bin froh, dass ich da weg bin.« Ihr Lächeln wirkte jetzt
beinahe nachsichtig. »Vielleicht ist das der Preis, den ich dafür zahle, eine
andere Beziehung zu führen als die meiner Eltern. Wer weiß das schon.«
Sie durchquerten die Halle und gingen nach draußen. Auf der Straße
herrschte buntes Treiben. Die Menschen flanierten umher, keiner schien es eilig
zu haben. Samstagabend am Hafen.
»Und wo gehen wir jetzt hin?« Heike versuchte sich gut gelaunt und
unternehmungslustig zu geben. Trotzdem schweifte ihr Blick zur Kongresshalle,
die stadtauswärts zu sehen war. Dort drüben irgendwo war Hambrock.
Eine Gestalt fiel ihr ins Auge. Ein Mann mit langem Mantel und
Springerstiefeln, der sich mit resoluten Schritten auf der Straße entfernte.
Fort von den Menschenmengen am Hafen, hin zu den verwaisten Parkplätzen und dem
entfernt liegenden Areal der Kongresshalle.
Marlon, schoss es ihr durch den Kopf.
Im nächsten Moment war er hinter dem Gebäudekomplex verschwunden.
Abgetaucht in der Dunkelheit.
»War das …?«
Sie hatte im Grunde gar nicht viel erkennen können. Das war gar
nicht möglich bei dieser Entfernung. Trotzdem. Ihr Herz jagte in der Brust, der
Atem stockte.
»Was ist denn los?«, fragte Erlend.
Heike reagierte schnell. »Warte hier!« Dann rannte sie los. Sie
musste herausfinden, ob das Marlon war. Damit sie Alarm schlagen konnte. Die
Maschinerie in Gang setzen. Leben retten.
Die Schwangerschaft rückte in ihr Bewusstsein. Ob es an der
Kondition lag, am Gewicht oder ihrem Körpergefühl – jedenfalls war sie ihr mit
einem Mal präsent.
Tu das nicht!, sagte eine innere Stimme. Was machst du denn hier!
Hör auf!
Doch sie lief weiter. Nur bis zur Ecke, um Gewissheit zu erlangen.
Ein kurzer Blick würde reichen,
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