Bullenball
bei
dem Gedanken, von diesem Typen angegrapscht zu werden. Doch Jule schien sich
erstaunlich gut zu amüsieren. Das Ganze machte ihr jetzt wohl doch Spaß, auch
wenn es am Anfang nicht so ausgesehen hatte.
Marie dachte an Marlon. Ob die Polizei ihn schon gefasst hatte?
Irgendwie wünschte sie sich, mit ihm sprechen zu können. Von Angesicht zu
Angesicht. Sie konnte einfach nicht glauben, was sie in seinem Tagebuch gelesen
hatte.
Was immer damals in der Schule passiert sein mochte, die Jazzband
war eine andere Welt. In einer Sache hatte Jule recht, so harmoniesüchtig sie
auch sein mochte: Die Band war etwas Besonderes. Sie war eine Gegenwelt zu
dieser ganzen grässlichen Leistungsgesellschaft. Marie war wütend auf Marlon,
dass er das nicht erkannt hatte.
Wenn es ihm wirklich ernst war mit dieser Amokdrohung, würde er wohl
kaum am Anne-Frank-Gymnasium aufkreuzen. Seine alte Schule interessierte ihn
doch gar nicht. Er hatte es auf die Jazzband abgesehen. Auf seine ehemaligen
Mitschüler.
Marlon, was tust du nur?, dachte sie verzweifelt. Sie überlegte, wo
Marlon zuschlagen konnte. Da war Jules Hochzeit nächste Woche. Oder das
Herbstkonzert der Jazzband.
Ihre Phantasie malte den Albtraum aus, in den sich diese
Festlichkeiten verwandeln konnten. Der Magen drehte sich ihr um. Das war doch
absurd. Marlon, das willst du doch nicht wirklich!
Wenn sie nur mit ihm reden könnte. Irgendwie hatte sie das Gefühl,
zu ihm durchdringen zu können. Aber vielleicht war das ja ein gefährlicher
Irrtum. Besser wäre es, zur Polizei zu gehen.
Jemand stieß sie an. Sie schrak zusammen und wirbelte herum. Es war
Christoph, einer von Jonas’ Freunden. Er blickte irritiert.
»Ach du bist das«, sagte Marie. »Sorry. Ich war in Gedanken.«
»Kein Problem. Du denkst doch daran, dass Günter Ehlers um elf Uhr
im Blauen Saal auflegt, oder?«
Das hatte sie ganz vergessen. »Ja, klar.«
Günters Schlagerparade auf dem Bullenball. Das war einer der Gründe,
weshalb der Junggesellenabschied hier stattfand.
Sie sah auf die Uhr. Es war bereits Viertel vor elf.
»Wird Günter irgendwas machen? Hat er was vorbereitet?«
»Nein, ich glaub nicht. Der wird nur Schlager auflegen.«
»Hoffen wir’s.«
Er grinste. »Wenn er sich’s anders überlegt hat, macht doch nichts.
Für uns wird das nicht peinlich, nur für Jule und Jonas.«
Sie lachte. »Das stimmt. Ich sollte mir nicht so viele Gedanken machen.«
»Dann kommt ihr jetzt auch?«
»Na klar, ich pfeif die Hühner gleich zusammen.«
Sie schlug sich die düsteren Gedanken aus dem Kopf. Heute war nicht
der passende Abend für so etwas. Besser, sie feierte mit den anderen mit. Über
alles andere konnte sie auch morgen noch nachdenken.
Jule amüsierte sich, aber das lag wohl vor allem daran, dass sie
inzwischen völlig betrunken war.
»Hey, Jule! Noch ’nen Schnaps?«
Uli war mit einem neuen Tablett aufgetaucht.
»Na klar, komm her!«
Den klebrigen Hühnerbauern waren sie endlich losgeworden, jetzt
standen sie wieder an ihrem Platz im Durchgang und beobachteten alle, die in
die Große Halle gingen. Ihr Spiel war es, zu erraten, wer vom Bauernhof kam und
wer nicht. Uli meinte, man könnte das den Männern ansehen, denn Bauern seien
ein ganz eigenes Völkchen. Doch bislang war Ulis Trefferquote nicht so
berauschend gewesen, Jules war um einiges besser.
Die Rockband auf der Bühne sang das Fliegerlied. Jule und Uli lagen
sich in den Armen und sangen mit: »Und ich flieg wie ein Flieger, und ich
schwimm zu dir rüber.« Danach gab es einen weiteren Schnaps.
Irgendwann heute Abend hatte Jule beschlossen, die Hochzeit
abzusagen. Natürlich war es längst zu spät. Aber egal, das störte sie nicht.
Jedenfalls nicht heute Nacht. Sie würde es schon schaffen, auch ohne Jonas. Das
Leben ging weiter, irgendwie würde sie auch allein klarkommen. Sie hatte
schließlich ihre Freundinnen, und sie hatte Niklas.
»Heut ist so ein schöner Tag la-la-la-la-la«, sang sie mit Uli im
Arm.
Marie tauchte auf und drängte sich zwischen sie. »Wo sind die
anderen? Haben die sich abgemeldet?«
»Die stehen da vorne an der Theke. Was machst du denn auf einmal für
einen Stress?«
»Günter Ehlers legt gleich im Blauen Saal auf, da wollten wir doch
unbedingt hin. Wir müssen uns beeilen.«
Uli lachte. »Stimmt. Ich hole die anderen.« Sie löste sich aus Jules
Umarmung und verschwand.
Bei Günters Schlagerparade würde sie bestimmt Jonas und die anderen
treffen.
»Ich denk, wir dürfen nicht
Weitere Kostenlose Bücher