Bullenhitze
Hain schrie kurz auf, als die Nadel sich in seine Schulter bohrte, griff zu der Stelle, an der er getroffen war, und riss dabei den Draht ab. Monika Wohlrabe sah ihn mit wütendem Gesicht an und zog immer wieder den Abzug der Waffe durch, jedoch ohne Ergebnis. Es wurde kein elektrischer Schlag ausgelöst.
Der Kommissar sprang auf die Frau zu, schlug ihr mit der Rechten den Taser aus der Hand und schleuderte sie zu Boden. Sie rollte sich wie eine Katze ab, war im gleichen Augenblick wieder auf den Beinen und trat mit dem linken Fuß nach dem Unterleib des Polizisten. Hain fing den Tritt mit gekreuzten Armen ab, sah der Frau kurz ins Gesicht und beschloss, für dieses Mal seine Bedenken zu verwerfen und eine Frau zu schlagen. Dann täuschte er mit der linken Faust einen Schlag gegen ihren Hals an, dem sie mit einer Drehung ausweichen wollte, wie er es erwartet hatte. Im gleichen Moment schickte er einen Tritt gegen ihren rechten Oberschenkel ab, der sie sofort mit einem markerschütternden Schrei zu Boden sinken ließ. Der gute, alte Pferdekuss, dachte Hain, bevor er nachsetzte und sie mit einem Schlag auf die Leber endgültig erledigte. Die Frau krümmte sich, japste nach Luft und machte dabei noch immer ein wütendes Gesicht. Zumindest kam es Hain, der zur Sicherheit ihre Hände hinter dem Rücken mit einem Kabelbinder festzurrte, so vor. Dann stand er keuchend auf und sah auf sie hinunter.
»WO IST MEIN KOLLEGE?«, brüllte er sie an.
Die Frau bekam noch immer keine Luft, und Hain musste innerlich fast ein klein wenig aus Bosheit lachen. Er beugte sich zu ihr hinunter, hob sie auf die Beine und hievte sie mit dem Rücken über die Sofalehne. In dieser Position fanden die ersten Kubikzentimeter Luft den Weg in ihre Lungen.
»Raus damit! Wo ist mein Kollege?«
»Sie kommen zu spät«, hechelte sie, und Hain war sich sicher, dass sie dabei lächeln wollte.
Er griff ihr an den Hals und drückte mit Daumen und Zeigefinger rechts und links an den Ansatz, dort, wo er wusste, dass es verdammt weh tat.
»Ich schwöre Ihnen bei allem, was mir heilig ist, und das ist nicht viel, dass Sie diesen Morgen nicht überleben werden, wenn Sie mir nicht sofort sagen, wo Hauptkommissar Lenz ist.«
Er erhöhte den Druck mit den Fingern und sah ihr dabei völlig emotionslos ins Gesicht. Das wirkte. Sie riss die Augen auf, schnappte nach Luft, und nun war ihr jegliche Wut aus dem Gesicht gewichen. Plötzlich war darin nur noch die nackte, blanke Angst zu lesen. Trotzdem erhöhte Hain den Druck ein weiteres Mal. Sie begann zu zappeln und riss so fest mit den Armen an dem Kabelbinder, dass ihr sofort das Blut über die Hände lief. Nun nahm Hain die Finger weg.
»Krematorium«, röchelte sie kaum verständlich. »Krematorium. Verbrennen.« Dann krümmte sie sich zusammen und begann zu wimmern.
Hain stürmte aus dem Haus, hatte ein paar Sekunden später seinen Wagen erreicht und schob mit zitternden Fingern den Schlüssel ins Zündschloss.
35
Lenz erwachte aus einem Traum, in dem er, in einem Segelflugzeug sitzend, an einem herrlichen Sommertag von oben auf Kassel herab sah. Die Wirklichkeit hingegen, die Realität, in der er sich befand, war kalt, dunkel, unangenehm und Furcht einflößend. Seine Brust schmerzte, als würde ein riesiger Tumor darin sein Unwesen treiben, und seine Arme, die er nicht hinter dem Rücken hervorziehen konnte, waren taub. Er hatte kein Zeitgefühl und bekam nur stockend Luft, weil in seinem Mund irgendetwas steckte und seine Nase leicht verstopft war. Im Gegensatz zu seinem letzten Erwachen war er sich viel klarer darüber, dass er in großen Schwierigkeiten steckte, aber noch hatte er keine Erklärung dafür. Er versuchte fieberhaft, sich zu erinnern, aber das Letzte, was ihm einfiel, war eine Sektflasche, und selbst die konnte er nicht zuordnen. Dann tauchte wie ein Blitzlicht die blaue Farbe der Tankstelle auf. Richtig, fuhr es ihm durch den Kopf, die Tankstelle. Dort war etwas geschehen. Aber was? Jetzt wurde sein Körper hin- und hergeworfen. Er befand sich in einem Auto. Er lag in einem Auto. Im Kofferraum. Vorsichtig bewegte er die Beine und stieß sofort mit den Füßen an. Dasselbe probierte er mit dem Kopf, mit dem gleichen Ergebnis. Dann ein weiteres Blitzlicht. Das Gesicht. Das Gesicht eines Mannes. Er kannte den Mann, aber er konnte ihn nirgendwo einordnen. Moment. Ein junger Mann.
Wieder bewegte sich sein Körper, doch diesmal war es ein Schauer, der ihm über den Rücken lief,
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