Bullenhitze
ihm, als würde er getragen, dann über eine Kante gehoben und fallen gelassen. Er konnte hören, wie zwei Menschen keuchten.
»Wenigstens ist er nicht so schwer wie der andere.«
Monika Wohlrabe. Das war die Stimme von Monika Wohlrabe. Was machte die Frau mit ihm?
»Stimmt.«
Auch diese Stimme kannte er. Aber woher?
»Warte, der Arm hängt noch raus.«
Vor seinem geistigen Auge tauchte ein Gesicht auf. Ein junges Gesicht. Dunkle Haare. Ein Mann.
Ein lauter Knall. Der Kommissar zuckte zusammen. Stille.
Er versuchte, sich zu erinnern, aber auch die Erinnerung war hinter dichtem, waberndem Nebel verschwunden.
Doch, diese Stimme, natürlich. Das war dieser Kronberger. Roland Kronberger.
In weiter Entfernung begann leise ein Motor zu summen. Lenz hatte für Sekundenbruchteile die Idee, zu träumen. Nein, kein Traum.
Sein Körper wurde hin- und hergeworfen, als würde er in einem Auto durch die Gegend gefahren. Dann überfiel ihn wieder diese tiefe, wohltuende Bewusstlosigkeit.
34
Thilo Hain schreckte hoch, geweckt von einem merkwürdigen Geräusch. Carla, seine Freundin, schlief auf der anderen Bettseite leise schnarchend den Schlaf der Gerechten. Das Geräusch, ein Summton, kam aus der Diele. Er sprang aus dem Bett, lief in den Flur und horchte, doch nun verstummte das Summen. Mit einem tiefen Seufzer schaltete er das Licht an und sah sich um. Und dann wurde ihm klar, was er gehört hatte. Er griff zu seiner Jacke, öffnete den Reißverschluss der Innentasche, griff hinein und zog ein Mobiltelefon heraus.
»Scheiße«, murmelte er, nachdem sein Blick die Uhr des Gerätes gestreift hatte. Mit zwei, drei schnellen Bewegungen entriegelte er die Tastensperre und wollte sich im Menü umsehen, als ein weiteres, kurzes Piepen ertönte.
›1 NEUE NACHRICHT‹, las er auf dem Display.
Er hielt die 1 gedrückt und presste sich das Telefon ans Ohr.
Sie haben eine neue Nachricht. Erste Nachricht: ›Hallo, Herr Kommissar, hier spricht Gerlinde Wohlrabe. Ich bin etwas unsicher, weil es ja nun nicht die Zeit ist, bei fremden Menschen anzurufen, aber im Nachbarhaus tut sich irgendwas. Ich bin durch das Garagentor wach geworden, das geht mir immer noch so, und habe nach drüben gesehen. Zuerst glaubte ich, ich hätte mich verhört, aber dann ging plötzlich das Hoflicht an. Genaues konnte ich nicht erkennen, weil mein Haus ja ein wenig nach hinten versetzt ist, aber irgendwie kommt es mir spanisch vor. Jetzt ist Licht im Wohnzimmer. Ich dachte mir, ich rufe Sie an, aber jetzt komme ich mir richtig blöd vor und bin froh, dass ich Sie nicht geweckt habe. Melden Sie sich einfach morgen bei mir, dann kann ich mich in Ruhe bei Ihnen entschuldigen.‹
Hain betrachtete kopfschüttelnd das Telefon in seiner Hand. Gerlinde Wohlrabe. Um fast 3 Uhr am Morgen. Auf dem Mobiltelefon seines Chefs, das dem auf der Rückfahrt von Hofgeismar aus der Tasche gefallen und im Fußraum seines kleinen Japaners gelandet war.
»Was ist denn los?«, fragte seine verschlafen in der Schlafzimmertür stehende Freundin.
»Nichts. Ich muss nur kurz mit meinem Chef telefonieren.«
»Weißt du, wie spät es ist?«
Er nickte. »Geh ins Bett, ich komme gleich zu dir. Es dauert nicht lange.«
»Hm«, machte sie und verschwand wieder in der Dunkelheit des Schlafzimmers. Hain nahm sein Festnetztelefon aus der Ladeschale und wählte Lenz’ Privatnummer. Es klingelte durch, bis die Verbindung vom Netzbetreiber gekappt wurde. Nach einem weiteren Versuch griff er zu Lenz’ Mobiltelefon und drückte ein paar Tasten.
»Mist«, fluchte er, weil Gerlinde Wohlrabe mit unterdrückter Nummer angerufen hatte.
Nach ein paar Sekunden des Überlegens stürmte er ins Schlafzimmer, sprang in seine Klamotten und kniete sich vor die Seite des Bettes, in dem seine Freundin lag.
»Ich muss kurz los. Bin spätestens in einer halben Stunde zurück.«
»Hm«, machte sie wieder.
Eine Minute später saß er frierend in seinem notdürftig freigekratzten Auto und fuhr Richtung Wolfsanger. Während der Fahrt versuchte er mehrfach, Lenz auf dessen Festnetzanschluss zu erreichen, doch immer wieder mit dem gleichen, unbefriedigenden Ergebnis. Auf der Zufahrt zu der kleinen Seitenstraße, in der sowohl Gerlinde als auch Monika Wohlrabe wohnten, stieg er wie elektrisiert auf die Bremse, weil er am Fahrbahnrand den Kleinwagen seines Chefs erkannt hatte. Er rollte ein paar Meter zurück, sah noch einmal auf das Kennzeichen und war sicher. Mit hochgerecktem Hals spähte
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