Bullenpeitsche: Kriminalroman (Droemer) (German Edition)
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* * *
Die Fischbretterbude in Övelgönne. Der Steg schwankt im Wind. Der Faller und ich lehnen an den Budenbrettern, mein alter Freund trinkt Apfelsaft, ich trinke Bier. Wir lassen die Wolken, das Wetter und die Schiffe vorüberziehen, wir lassen uns die Nasen nassregnen, wir lassen die Möwen vorbeiwatscheln.
Der Faller ist frei. Er hat die junge Frau nicht umgebracht. Er hat sie nicht mal angefasst. Ein kleiner albanischer Gangster hat sich vertan und verquatscht, hat gedacht, er säße wegen der Geschichte von damals im Präsidium, hat gedacht, wir wollen ihm einen Mord anhängen. Und da hat er den Faller befreit. Ganz aus Versehen.
»Und sonst so?« Mein alter Freund hört sich ganz weich an. Wie ein Hörnchen.
»Nicht so toll«, sage ich, »eigentlich total beschissen, aber vergessen Sie’s.«
Er zündet sich eine Roth-Händle an und sagt: »Na dann.«
* * *
Ich habe dem Faller lange hinterhergesehen, wie er zum Auto gegangen ist, wie er eingestiegen ist, wie er den Motor angelassen hat und dann langsam davongefahren ist, ganz in Ruhe. Er hat würdevoll ausgesehen, sehr gerade. Als hätte er sich nach langer Zeit in gebückter Haltung wieder aufgerichtet.
Da hinten, im neuen Hamburger Tropenregen, kommt meine Fähre nach Teufelsbrück. Ich weiß nicht, warum, aber Naima und der traurige Donner rufen nach mir. Irgendwas an den beiden zieht mich.
* * *
Sie sitzen da, als wären sie festgetackert, auf ihrem Platz unter dem Anleger. Als würden sie in Wahrheit dort wohnen, und nicht in einer dieser schicken Villen in Flottbek. Naima und der Donner kauern genau da, wo sie auch beim letzten Mal und beim vorletzten Mal saßen, als ich sie getroffen habe. Und sie sitzen auf der immer gleichen Plastiktüte.
Die Luft ist warm und feucht, Naimas Schuhe sind blitzsauber, nur der Hund, der ist heute versehrt. Er trägt einen grauen Hundeverband um die rechte Pfote.
»Was ist mit ihm?«, frage ich. »Hat er versucht, sich die Pulsadern aufzuschneiden?«
»Nein«, sagt Naima, »das war eine kaputte Flasche.«
Wenn ich ihren Blick richtig interpretiere, ist sie stinksauer.
»Wie ist das passiert?«
»Mein Mann und ich hatten einen Streit«, sagt sie. »Er hat mich so sehr provoziert, dass ich eine Wasserflasche nach ihm geworfen habe. Die Flasche ist an der Wand gelandet und dann zersprungen, Kleiner Donner hat einen Schreck bekommen, wollte zu mir und ist in eine der Scherben getreten.«
Sie streichelt ihrem Hund übers schwarze Fell, der Hund wimmert ein bisschen. Ich setze mich neben ihn und fange auch an, ihn zu streicheln. Wie gut das tut, ein Tier anzufassen. Ich zünde zwei Zigaretten an, eine ist für mich, und eine stecke ich dem traurigen Donner zwischen die Lippen. Er macht ein Geräusch, ein bisschen ein Knurren, ein bisschen ein Schnurren.
»Warum haben Sie sich gestritten?«, frage ich, auch weil ich den Eindruck habe, das sie gern drüber reden würde.
»Stellen Sie sich vor«, sagt sie, »sie würden jemanden lieben, der ein schlechter Mensch ist. Sie wissen, dass er ein schlechter Mensch ist, aber Sie lieben ihn trotzdem. Sie lieben ihn mit einer Mischung aus Hingabe und Wehmut, und da ist immer auch ein versteckter Hass auf das, was er tut. Womit er sein Geld verdient. Sie können nichts dagegen sagen, denn Sie leben sehr komfortabel von seinem Geld. Aber ab und an, wenn Sie wieder mal mitkriegen, was er so tut, wenn wieder was passiert ist, dann kommt der Hass an die Oberfläche. Würden Sie da nicht auch mit Flaschen schmeißen?«
»Ich würde gehen«, sage ich. »Ich würde auf das Geld pfeifen und gehen.«
»Und auf Ihre Liebe? Würden Sie auf die auch pfeifen?«
»Schlechte Menschen kann man nicht lieben«, sage ich.
»Oh doch«, sagt sie, »oh doch.«
Wir kucken alle drei eine Weile aufs Wasser. Von Naima geht dabei eine größere Traurigkeit aus als von ihrem Hund, und das ist schon eine ganze Menge.
»Es ist so …«, sagt sie, und ich falle ihr ins Wort.
»Naima?«
»Ja?«
»Haben Sie gerade vor, mir von Ihrem Mann zu erzählen?«
»Ja«, sagt sie, »ich würde Ihnen wirklich gern von ihm erzählen. Ich würde gerne wissen, was Sie davon halten.«
»Tun Sie das nicht«, sage ich. »Ich hab mit vielen schlechten Menschen zu tun, und es ist mein Job, sie aus dem Verkehr zu ziehen.«
Sie sieht mich an, ich ziehe ausgiebig an meiner Zigarette.
»Ich bin Staatsanwältin.«
Und da blubbert etwas in ihr hoch, etwas Tiefes, Archaisches, und ich brauche
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