Bullenpeitsche: Kriminalroman (Droemer) (German Edition)
draußen ist die Hafencity.
Hamburgs neue Schluchten aus Stahl.
Die Privilegierten-Canyons.
Und dann diese riesige Euromüllkippe, dieses kaputte Superkonzerthaus. Finster und glitzernd und so was von unnötig. Da stand mal der schönste Leuchtturm der Stadt, jetzt steht da ein Ärgernis.
»Bitteschön«, sagt Klatsche und ich drehe mich zu ihm um. Seine Augen sind so grün wie die schmutzige Elbe in der Sonne.
»Hast dich gut festgehalten. Bist nicht gesprungen.«
Bin ich nicht. Bin ich nicht? Manchmal hab ich keine Ahnung, was jemand wie ich eigentlich soll. Wie ich gemeint bin. Wer so was braucht. Er hält mir ein Schnapsglas hin, randvoll. Ich nehme es ihm aus der Hand, mache die Augen zu, trinke es aus und sage: »Dankeschön.«
Er legt seine Hand auf meine Hand.
»Willst du mich heiraten?«
Wie bitte?
»Wie bitte?«
»Willst du mich heiraten?«
Ich glaub, ich spinne. Spinnt der?
Er sieht mich ernst an, so ernst, als würde er gleich auf die Knie gehen wollen, und seine Hand liegt immer noch auf meiner. Ach du Scheiße. Was mach’ ich denn jetzt? Was mach’ ich denn jetzt, was mach’ ich denn jetzt, außer kucken wie ein Auto?
Und dann reißt er die Augen auf, fängt an zu grinsen und sagt:
»Buh!«
Was?
»Da hab ich dich aber erschreckt, hm? Nie im Leben würdest du mich heiraten! Und ich dich auch nicht, keine Bange. Ich bin für mein Leben gerne nicht mit dir verheiratet.«
Ich sinke kurz in mich zusammen, ich muss lachen, ich bin so erleichtert, ich weiß nicht, was ich sonst machen oder sagen soll, also lasse ich mich wieder von ihm in die Arme nehmen und wir tanzen weiter, mit Augen zu, bis die beschissene Hafencity an uns vorbeigezogen ist.
Heiraten, so ein Scheiß.
Später, als die Dämmerung kommt, gehen auf unserer Barkasse Hunderte von bunten Lichterketten an, das ganze schaukelnde Ding besteht nur noch aus weißen Blumen und Licht und Musik, und weil der Kapitän Feierabend machen will und wir schon gefühlte fünfzig Mal zwischen Speicherstadt und Blankenese hin und her gefahren sind, gehen wir an den Landungsbrücken vor Anker und dümpeln und schwappen und tanzen vor uns hin, bis von der Landseite her langsam der Morgen über die Elbe schleicht.
VIII.
EINE SEHR HÄSSLICHE
SONNENBRILLE
Es ist, als wäre jemand, den du kennst, schon seit langem krank, und du hättest es schon immer geahnt, aber weit von dir geschoben, weil dir allein die Vorstellung dieser Krankheit zuwider ist. Es geht dich auch nicht wirklich was an, denn es handelt sich nicht um einen Freund. Du kannst den ja nicht mal leiden. Und doch trifft es dich, wenn sich dir plötzlich einer in den Weg stellt und sagt: Es ist genau so, wie du dir nie vorstellen wolltest, dass es tatsächlich ist.
Heute Morgen rief mich Christian Bruns an. Bruns ist Ermittlungsrichter. Er ist für unseren Fall zuständig, den Mord an den beiden Polizisten. Und er ist einer von den Richtern, die sich die Akten immer ganz genau ansehen, auch dann, wenn sie noch gar nichts damit zu tun haben. Bruns setzt sich öfter mal am Wochenende hin und liest sich ein, falls ihn was interessiert. Und weil Bruns ein Polizistensohn ist, hat es ihn eben interessiert.
Bruns ruft mich also heute Morgen an und sagt: »Können wir mal reden?«
»Ich war gestern Abend auf einer Hochzeit«, sage ich. »Können wir’s auf morgen verschieben?«
»Nein«, sagt er, »können wir nicht.«
Er räuspert sich.
»In Ihren Akten fehlen Seiten.«
Ich bin auf einen Schlag wach und nüchtern.
»Wo genau?«
»Da taucht ein gewisser Dr. Sackmann auf«, sagt Bruns, »der nach Einschätzung der ermittelnden Kollegen ein wichtiger Zeuge sein könnte.«
»Richtig«, sage ich.
»Der Name und die Einschätzung der Kollegen tauchen aber nur einmal auf und dann nie wieder«, sagt Bruns. »Auf mich wirkt es, als sei da was entfernt und dummerweise eine Kleinigkeit übersehen worden.«
Ich klemme mir das Telefon ans Ohr, schraube die Espressokanne auf, fülle Wasser und Kaffee rein und sehe zu, dass ich das Ding auf den Herd kriege. Und meine Gedanken geordnet.
»In der Akte steht nichts darüber, dass Henning Sackmann verschwunden ist?«
»Nein.«
»Und da steht auch nicht, dass seinem Haustier die Kehle durchgeschnitten wurde?«
»Nein.«
Heiliges Kanonenrohr. Was ist da denn los?
»Worum geht’s in dem letzten Bericht, der in der Akte auftaucht?«, frage ich.
»Darum, dass Ihre Leute den Kiez durchkämmt haben, auf der Suche nach Verdächtigen, die in den
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