Bullet Catcher 3: Johnny
Sie vergrub ihre Finger in Taz’ weichem Fell. Die Katze miaute, streckte sich und rollte sich am warmen Leib ihrer Besitzerin wieder zusammen. Ihr war vollkommen egal, ob der Mann, den Vivian fürs Wachehalten unten an der Treppe bezahlte, weg war.
Die Stille war durchdringend. Draußen vor dem Schindeldachhaus hatten die Vögel noch nicht zu singen begonnen. Kein Nachbarhund bellte auf dem morgendlichen Rundgang an der Leine seines Herrchens, keine Autotür wurde zugeschlagen. Nicht einmal das Poltern von Müllcontainern war zu hören, obwohl heute Abfuhrtag war. Sie wohnte schon lange genug in diesem schönen alten Haus, um jedes Geräusch zu kennen, und zu wissen, wann es fehlte.
SieschobeinBeinüberdasLaken,unddassündhaft teureGewebestreichelteseidigüberihrenackteHaut.DerWeckernebenihrzeigtezwanzignachsieben,aberergingeinehalbeStundevor,eine Maßnahme gegen ihre notorische Unpünktlichkeit.
Andererseits hatte sie heute nichts vor. Keine Radiointerviews, keine Talkshows, keine Ladeneröffnungen oder Fotoshootings. Vivian hielt sich in letzter Zeit sehr zurück. Trotzdem hatte sie für alle Fälle einen Bodyguard angeheuert …
Doch jetzt war er weg. Sie wusste es, so wie sie wusste, wie sich der glatte Boden unter ihren Füßen anfühlen würde, wie Taz ihr mit ihren grünen Augen folgen und dabei so tun würde, als wäre es nicht der Mühe wert, fürs Frühstück zu miauen. Vivian wusste, dass sie allein im Haus war. Und sie hatte Angst.
Sie schlüpfte in ein abgetragenes Patriots-Sweatshirt und trat ans Fenster, um auf den Garten hinauszublicken, den sie mit viel Mühe pflegte. Ihre Großmutter würde ihn einen »Weiße-Leute-Garten « nennen, genauso wie sie den runden Tisch mit der Decke aus Volants und Spitzen einen »Weiße-Leute-Tisch « nennen würde. Als sie Keisha einmal davon erzählt hatte, hatten sie sich halb tot gelacht.
Keisha hatte so etwas verstanden.
Vivians Herz krampfte sich zusammen, so wie jedes Mal, wenn sie an ihre Freundin dachte. Ganz gleich wie sie die Dinge drehte und wendete, tief in ihrem Innersten wusste sie, dass sie diejenige war, die Keisha ins Jenseits geschickt hatte. Sie hätte ihr genauso gut selbst die Überdosis Ephedrin geben können. Schuldgefühle mischten sich unter die Angst, die in ihrem Magen rumorte.
So oft sie sich einzureden versuchte, dass sie Keishas Nachricht am Abend ihres Todes missverstanden hatte, sagte eine andere Stimme in ihrem Kopf – Großmutters? – : Mädchen, du machst dir was vor, und das ist die schlimmste Form von Selbsttäuschung .
Himmel, sie log schon so lange, dass sie gar nicht mehr wusste, was die Wahrheit war.
Vielleicht war Keisha wirklich nach der Entführung aufgewühlt nach Hause gekommen und hatte ihr großes Herz aus Unsicherheit oder Dummheit selbst zum Explodieren gebracht.
Vielleicht aber auch nicht. Und deshalb sollte dieser Goliath namens David mit einer Riesenwumme unten an der Treppe stehen, um jeden umzunieten, der herausfinden wollte, was Vivian wusste.
Sie öffnete die Schlafzimmertür, und das Quietschen hallte durch den schmalen Flur bis zum gegenüberliegenden Zimmer, das sie als Büro nutzte. Das Bad dazwischen war leer und dunkel. Sie blickte die Treppe hinunter. Vielleicht schlief er. Sie würde ihn aber erst sehen, wenn sie die Treppe halb hinuntergegangen wäre.
»David ?« , rief sie. »Sind Sie da ?«
Sie zuckte zusammen, als Taz mit leisem Miauen auf den Boden sprang, dann ging sie ein paar Schritte weiter. Wenn er das Haus verlassen hätte oder jemand hereingekommen wäre, hätte sie die Alarmanlage gehört. Die war immer eingeschaltet. Immer.
»David ?«
Nichts. Sie starrte auf die Stufen. Sollte sie nach unten gehen und ihn suchen? In der Küche? Beim Fernsehen? Das wären Gründe, um ihn zu entlassen, aber möglich war es dennoch.
Da fiel ihr ihre kleine Pistole ein. Sie hatte bisher nie daran gedacht, sie zu benutzen, schließlich war David hier. Sie machte kehrt, stieg über Taz und fand die Waffe in ihrer Unterwäscheschublade. Beim Kauf hatte sie die grundlegenden Handgriffe gezeigt bekommen, und so entsicherte sie die Pistole, indem sie den Spannhebel nach unten drückte. Puh, das Geräusch klang durch das ganze Haus – wäre ein Bodyguard, der sein Geld wert war, nicht sofort die Treppe heraufgestürzt, wenn er das hörte?
Sie richtete die Waffe schräg zum Boden, so wie sie das bei der Sicherheitseinführung gelernt hatte. Ihre Arme zitterten. Am Fuß der Treppe hielt sie inne,
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