Bullet Catcher: Jack (German Edition)
anderen aufgetischt, über den Abend, als er sie festgenommen hatte, über seine »Ermittlungen« voller gefälschter Beweise und lächerlicher Spekulationen und über ihr angebliches Geständnis.
Was mochte er noch von ihr wollen, nachdem man sie weggesperrt hatte, ohne die geringste Chance, jemals die Freiheit wiederzuerlangen?
Er lehnte sich an die Wand und maß sie mit kaltem Blick. »Wie wär’s mit einer Begrüßung?«
»Was wollen Sie von mir?« Die Worte brachen rau aus ihr heraus.
»Da du wahrscheinlich von der Außenwelt nicht viel mitbekommst, bin ich gekommen, um dir zu erzählen, dass der Staat South Carolina ein Wiederaufnahmeverfahren angesetzt hat.«
Eine Wiederaufnahme? Unwillkürlich stieß sie einen leisen Laut des Erstaunens aus. Eine zweite Chance?
Er schüttelte grinsend den Kopf. »Aber du kommst nie drauf, wer unter den handverlesenen sechs Richtern ist, die das Verfahren leiten werden.«
Nein, doch keine zweite Chance. »Als ob mich das überraschen würde.« Das passte bestens in seinen Karriereplan.
Ihr Besucher lachte wieder und griff in die Tasche seines teuren Jacketts. »Ich habe da etwas, das dich sehr wohl überraschen wird, Eileen.« Er förderte etwas zutage, das wie ein kleines, weißes Stück Papier aussah. »Ich möchte dir ein Foto zeigen.«
Sie hob das Kinn. »Von was?«
»Nicht von was. Von wem.« Er drehte das Blatt um.
Zuerst sah sie nur Grün und Rot, ein Gewirr aus Mustern und Glitzer. Dann wurde ihr Blick klar. Und ihre Augen füllten sich mit Tränen.
Ein Mädchen, klein, blond, das mit sanften, staunenden Augen in die Welt sah … etwa sechs Jahre alt.
»Deine Tochter.«
Eine davon, dachte sie, und der Gedanke gab ihr Kraft. Sie wusste etwas, von dem er keine Ahnung hatte: nämlich, dass sie in jener dunklen Nacht weit draußen in Holly Hill noch zwei weitere Töchter zur Welt gebracht hatte.
Sie zwang sich, ihren hungrigen Blick von dem Foto zu reißen. Er sollte auf keinen Fall bemerken, was sie empfand. »Was ist mit ihr?«
»Sie wurde vor Kurzem adoptiert.«
Sie war vor sechs Jahren bereits adoptiert worden. Illegal. »Wann vor Kurzem?«
»Vor knapp einem Monat. Jemand …« Er hob eine Braue, um zu verdeutlichen, wen er meinte. »… hat sie aus dem Waisenhaus geholt und unter seine Fittiche genommen.«
Er hatte sie? Bei sich zu Hause? Neid und Wut machten sich in ihr breit. War es nicht schon schlimm genug, dass er sie in diese Hölle geschickt hatte? Musste er jetzt auch noch eines ihrer Mädchen zu sich nehmen? Sie zwang sich zu einem Achselzucken. »Warum erzählen Sie mir das?«
»Als Warnung, Eileen. Als schlichte, unverhohlene Warnung.« Er steckte das Bild wieder weg. »Solltest du beschließen, irgendjemandem gegenüber gesprächig zu werden, wird sie das nächste Weihnachten nicht erleben. Außerdem weißt du jetzt, wer das Wiederaufnahmeverfahren leitet. Du solltest ihr Leben nicht sinnlos vergeuden.«
»Ich vergeude stattdessen meines.«
Er grinste. »Genau. Und so soll es auch bleiben … Leenie.«
Dass er sie so ansprach, war kein Zufall, im Gegenteil. Er wollte sie daran erinnern, dass er im Namen ihres Exliebhabers sprach, des Mistkerls, der sie gezwungen hatte, ihren größten Schatz wegzugeben und, als wäre das noch nicht genug, ihr auch noch einen Mord angehängt hatte.
Eileens Besucher ließ sie ohne ein weiteres Wort stehen, und sie ließ sich auf eine der dünnen Matratzen sinken.
Einer von sechs Berufungsrichtern. Er wollte ganz nach oben, und zu diesem Zweck war ihm jedes Mittel recht, selbst seine Frau hatte er danach ausgesucht.
Solange sie hier in Camp Camille für seinen Mord einsaß, konnte ihm nichts passieren. Und das würde sie tun, zum Wohle dieses Mädchens auf dem Foto und deren beiden Schwestern.
Doch … was, wenn … eines Tages, irgendwann in ferner Zukunft, diese Mädchen nach der Wahrheit suchen würden? Was, wenn sich eine von ihnen als Schutzengel erwies, der für sie vom Himmel kam und der Welt verkündete, dass sie unschuldig war? Dann wäre er gezwungen, seine Verbrechen zu gestehen. Eines fernen Tages …
Eileen schloss die Augen und versuchte, die Wunschfantasie festzuhalten, die sie am Leben erhielt, doch schließlich konnte sie nichts anderes mehr tun, als aus Reue und Schmerz aufzuschluchzen, mit dem leeren Herzen einer Mutter, die ihre Töchter so sehr liebte, dass sie ihr Leben für sie aufgegeben hatte.
Es gab keine Schutzengel. Es gab nur den Teufel, und er war
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