Burgfrieden
er glaubte fest daran, dass der Schuldige, der sich vielleicht in einem unbedachten Moment zu dem Diebstahl hatte hinreißen lassen, die Gelegenheit nutzen würde, die Sache, ohne noch mehr Aufhebens zu verursachen, ins Reine zu bringen. Woran er allerdings zweifelte, war, dass überhaupt jemand von seinen Leuten damit zu tun hatte. Im Nachhinein betrachtet war es von Blasius mehr als verantwortungslos gewesen, die Handschrift in einem nicht abschließbaren Wandschränkchen zu deponieren, zumal der Burgdirektor zu diesem Zeitpunkt bereits von der Existenz des Geheimganges wusste. Und es stellte sich die legitime Frage, wer inzwischen noch alles Bescheid wusste. Arthur bezweifelte, dass lediglich der genannte kleine Kreis, bestehend aus Francesca, dem Bauarbeiter und dem Koch – den hatte Blasius ja auch erst nachträglich zugegeben – eingeweiht war.
Geheimnisse sprachen sich schnell herum. Im Prinzip konnte jeder, der auf der Burg arbeitete, von der Sache Wind bekommen haben. Wenn das der Fall war und sich der Täter in den Reihen der Mitarbeiter von Blasius befand, dann hätten sie sich die heutige Aktion sparen können. Oder gleich sämtliche Leute auf der Burg zusammentrommeln sollen und ihnen das Ultimatum stellen. Davon hatte Blasius absolut nichts wissen wollen, meinte er doch noch immer, großes Aufsehen vermeiden und die Sache auf diskrete Weise regeln zu können.
Arthur hoffte, dass der Freund sich nicht täuschte. Ein öffentlicher Skandal würde sicher das Ende der Karriere des Burgdirektors bedeuten. Aber auch für Arthur selbst wäre es keine besondere Reputation, wenn bekannt würde, dass er in das mysteriöse Verschwinden der Handschrift verwickelt war. Nicht zu reden von der Verantwortung, die er für seine Leute trug. Arthur versuchte gerade, sich mit dem Gedanken an die Befragung durch die Polizei vertraut zu machen, als er Schritte hörte. Rasch nahm er sein Buch wieder zur Hand und gab vor, darin zu lesen, als die Tür der Bibliothek geöffnet wurde.
»Guten Abend, Onkel.« Auch ohne aufzusehen, wusste Arthur, wen er vor sich hatte. So beherrscht, wie es ihm unter diesen Umständen möglich war, legte er das Buch auf den Tisch und blickte hoch. »Mordred, also doch.«
Mordred hatte die Tür wieder geschlossen, stand aber noch unmittelbar davor. Die Hände hatte er auf dem Rücken verschränkt. Den für ihn typischen süffisanten Ausdruck trug er wie aufgemalt im Gesicht. »Immer mit der Ruhe, Onkel. Die Dinge sind nicht, wie sie scheinen.« Damit ließ er sich in einen der Ledersessel fallen. Wie zum Beweis, dass er nicht im Besitz des Manuskripts sei, streckte er die nach außen gekehrten Handflächen Arthur entgegen.
Der wäre am liebsten aufgesprungen und hätte den Jungen einmal kräftig geschüttelt. Aber wie er Mordred kannte, hätte das wenig genützt, um die Wahrheit ans Tageslicht zu befördern. Wichtig war jetzt herauszufinden, was sein Neffe – trotz seines Geständnisses gegenüber Jenny und Lenz hatte Arthur sich angewöhnt, bei dieser Bezeichnung zu bleiben – ausgerechnet jetzt von ihm wollte.
»Wenn du etwas über den Verbleib der Handschrift weißt, dann rede. Und wenn nicht, muss ich dich bitten, sofort zu gehen. Deine Anwesenheit könnte den wahren Täter abschrecken.« Arthur war aufgestanden und einen Schritt auf Mordred zugegangen. Der erhob sich nun ebenfalls.
»Onkel, es war nur ein Spiel, ein blöder Scherz, meinetwegen.« Verächtlich zog Mordred die Mundwinkel herab.
Jetzt hatte Arthur genug. Es war tatsächlich nicht der Zeitpunkt, um auf Mordreds fragwürdige Späße einzugehen.
»Hör mir zu, Junge. Jenny und Lenz sind heute den ganzen Tag hinter einer Spur hergejagt, die jemand offenbar absichtlich falsch gelegt hat.« Nicht eben sanft legte Arthur die Hand auf Mordreds Schulter und beugte sich zu ihm herab. »Ich bin sicher, dass du dafür verantwortlich bist. Und du weißt auch, wo die Handschrift ist. Also, rede oder verschwinde.«
Erst jetzt bemerkte Arthur, dass Mordred kalkweiß im Gesicht geworden war. Er hatte sich tatsächlich dazu hinreißen lassen, den Jungen zu schütteln. Rasch lockerte Arthur den Druck und nahm seine Hand von Mordreds Schulter, als dieser zu sprechen begann.
»Das ist es ja, warum ich gekommen bin. Die Karte war ein Rätsel und für mich bestimmt. Mit der Handschrift hatte sie überhaupt nichts zu tun. Woher hätte ich wissen sollen, dass Frau Doktor Sommer« – genüsslich sprach er den Titel samt Nachnamen aus –
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