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Burgfrieden

Burgfrieden

Titel: Burgfrieden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Neureiter
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hinauf. Der andere folgte ihm in etwas verhaltenerem Tempo. Auch das Liebespärchen hatte sich von seinem Sitz erhoben und machte Anstalten, sich nach oben zu bewegen. William begann gerade, den Gurt seiner Kutte zu lösen, um diese, falls nötig abstreifen und der Frau, die da geschrien hatte, zu Hilfe eilen zu können, als eine hohe, fast singende Stimme erklang:
    »Lenz, ich würde dir raten, stehen zu bleiben. Oder willst du die Knochen deiner Dame lieber unten im Tal aufsammeln?« Nach einer Atempause fügte die Angreiferin – es handelte sich offenbar ebenfalls um eine Frau – in schrillerem Tonfall hinzu: »Ihr anderen auch. Stehenbleiben oder es passiert ein Unglück!«
    In der Stille, die jetzt eintrat, nahm William ganz oben auf der Tribüne eine flüchtige Bewegung wahr. Einer der Beleuchter hatte den Scheinwerfer, der bisher auf die Bühne gerichtet war, zur Seite gedreht, so dass nun mehr Licht in den Zuschauerbereich fiel. Ein Teil des Kegels erhellte auch den Wehrgang und die beiden Frauen, die immer noch dort standen.
     
    Was William jetzt sah, war ganz dazu angetan, dem heutigen ereignisreichen Abend die Krone aufzusetzen. Deutlich konnte er erkennen, was sich dort oben abspielte: Die größere der beiden Frauen hielt die kleinere dermaßen im Würgegriff fest, dass diese keine Chance hatte, sich aus der Umklammerung zu befreien. Was die ohnehin bizarre Angelegenheit allerdings noch grotesk überhöhte, waren die seltsamen Requisiten, mit denen die beiden Frauen ausgestattet waren. Während die kleinere der beiden einen Fahrradhelm auf dem Kopf trug, hatte die größere eine Art Papierrolle in der freien Hand, die sie wie ein Schwert in die Höhe hielt.
    Hatte ihnen der Regisseur einen Streich gespielt und zum Gaudium der Zuschauer eine Szene eingebaut, von der die Schauspieler nichts wussten? Wenn das der Fall war, dann würden er und seine Kollegen ein ernstes Wort mit dem Mann reden müssen. Eine derartige Unverfrorenheit nur um des Spektakels willen ging nun wirklich zu weit.
    William legte sich in Gedanken schon die Worte zurecht, die er dem Spielleiter an den Kopf werfen würde, als oben plötzlich Bewegung in die Szene kam. Die Große ging jetzt, die andere wie ein Schutzschild vor sich haltend, langsam rückwärts.
    »Scheinwerfer aus«, schrie sie. Der Beleuchter folgte offenbar dem Befehl, denn im nächsten Moment war der gesamte Bereich zwischen Bühne und Wehrgang in Dunkelheit gehüllt. Im schwachen Mondschein war es William jedoch, als sähe er einen Schatten, der sich vom Westpalas her der Galerie näherte.
     
    *
     
    »Xenia, komm wieder zur Vernunft. Was soll das Ganze?« Nachdem die Scheinwerfer erloschen waren, schien es Jenny die einzige Chance zu sein, mit ihrer Widersacherin in ein Gespräch zu kommen. Diese hatte sie auf der Außentreppe eingeholt und überwältigt. Jenny war sofort klar gewesen, dass sie gegen die größere und schwerere Frau chancenlos war und sich zunächst gefügt. Wenn sie wenigstens wüsste, was die Dozentin vorhatte. Es musste ihr doch klar sein, dass es für sie kein Entkommen gab. Oder dachte sie etwa daran, mit ihr als Geisel zu entfliehen? Mit einem solchen Gedanken konnte Jenny sich gar nicht anfreunden. Die andere musste wahnsinnig geworden sein. In dem Zustand war ihr alles zuzutrauen. Als hätte sie Jennys Gedanken gelesen, fing Xenia Schmied-Schmiedhaussen jetzt zu sprechen an:
    »Du hältst mich wohl für verrückt. Aber glaube mir, ich weiß, was ich tue.« Ganz nahe klang der Singsang an Jennys Ohr. Es war wohl am vernünftigsten, weiterzureden, vielleicht würde das Xenia ablenken. »Sag, wie bist du denn an die Handschrift gekommen?« Jenny zwang sich zur Ruhe, die andere antwortete auch sogleich.
    »Das war ganz einfach. Als Mordred seinen großen Auftritt hingelegt hat, sah ich Lukas hinausschleichen. Ich bin ihm gefolgt und habe ihn mit dem Bauarbeiter am Burgtor gesehen. Die beiden haben mich nicht bemerkt, so vertieft waren sie.« Xenia blieb kurz stehen und verstärkte den Griff um Jennys Hals, bevor sie fortfuhr: »Die Falltür stand offen und ich bin hinunter. Zunächst nur aus Neugierde, aber dann habe ich den Geheimgang bemerkt. Von dort hinauf in den Saal der Liebespaare war es ein Kinderspiel.«
    »Aber es war doch stockdunkel.« Jenny erinnerte sich an ihren eigenen mühsamen und zeitraubenden Aufstieg, als Xenia wieder in ihr Ohr säuselte:
    »Ich hatte doch die Öllampe dabei. Standen ja genügend rum in der Burgschänke.

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