Burnout vorbeugen und heilen
Arbeit mehr Anerkennung und mehr Geld zu versprechen. Doch je mehr jemand arbeitet, umso weniger hat er Zeit für die anderen, die privaten Lebensbereiche. Je weniger er dort Zeit gestaltet oder einfach auch (nur) sein kann, desto weniger ist er im Kontakt mit sich selbst, mit seinen alltäglichen natürlichen Bedürfnissen und Wünschen. Schließlich achtet er – wie bei sich selbst – auch immer weniger die Bedürfnisse seiner Mitmenschen: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Familienmitglieder und Freunde. Im Umgang mit sich und anderen wird er leicht unsensibel und harsch.
Wer kennt nicht die folgende Situation? Man kommt überarbeitet nach Hause und herrscht dann völlig unpassend die Kinder an, die „faul auf dem Sofa herumliegen“ und „besser etwas Vernünftiges täten“. Wer den Kindern in dieser Stimmung seine momentane eigene Arbeitsauffassung und Überforderung überstülpt, wird von diesen zu Recht gefürchtet, abgelehnt und nicht für ernst genommen.
Wenn Sie sich so verhalten, ist es Zeit, innezuhalten und Ihr Berufsleben von Ihrem Privatleben zu unterscheiden, abzuwägen, wie viel an Zeit und Intensität Sie in den beiden Bereichen leben. Es ist nützlich, sich über Ihre verschiedenen Rollen klar zu werden und die Rollenübergänge bewusst zu gestalten.
Eine Falle im Beruf ist es, sich von der Begeisterung für oder von den Ansprüchen an die Arbeit davontragen zu lassen, sich keine passenden Pausen mehr zu gönnen und sich schließlich weder zu Hause noch im Urlaub wirklich zu erholen und so in ein Burnout-Syndrom zu schlittern. – Viele Menschen sind dann überrascht, wenn ihnen die Tatsache, dass sie nach ihrem übergroßen Engagement jetzt völlig ausgebrannt sind, im Betrieb auch noch als persönliche Schwäche ausgelegt wird. In ihrem Einsatz und Engagement dachten sie, „stark sein“ zu müssen, um für sich und den Betrieb etwas Gutes zu tun. Dass sie in ihrem überbordenden Arbeitsanspruch ihre natürlichen Erholungs- und Zuwendungsbedürfnisse nicht mehr wahrgenommen und ihre Bedürfnisse missachtet haben, genauso wie die der anderen: Dafür waren sie blind.
In meinen Augen ist es tatsächlich ein Zeichen von Schwäche: schwach darin zu sein, seine Erschöpfung wahrzunehmen, und nicht einem Bedürfnis nach Erholung und Ausgleich im Privatleben nachzugehen. Es wäre hingegen stark gewesen, wenn sie ihre vermeintliche Schwäche als Bedürfnis erkannt und für sich gesorgt hätten. Ebenso stark wäre es, wenn in Unternehmen Bedürfnisse, wie das nach Erholung, als natürlich angesehen würden. Doch in einer Kultur der Ausbeutung wartet man darauf vermutlich vergeblich.
Es ist eher nicht zu erwarten, dass es in einer Kultur, in der Menschen im Arbeitsleben immer mehr abverlangt wird, in der sie ausgebeutet werden, Achtung für ihre Bedürfnisse gibt. Wenn Ihre berufliche Realität so aussieht, tun Sie gut daran, achtsam, selbstbewusst und in aller Ruhe und Unauffälligkeit mit Ihren eigenen Bedürfnissen Haus zu halten. Warum sollten Sie unauffällig vorgehen? Sie dürfen nicht unbedingt auf Verständnis für Ihre Bedürfnisse von Menschen hoffen, die (selbst-)ausbeuterisch unterwegs sind. Die werden Ihnen möglicherweise noch mehr Arbeit aufbürden wollen oder Sie gar mobben.
Rolando Villazón, einer der besten Tenöre der Welt, beschreibt das Dilemma, sich in einer überstarken Leistungskultur wie der unseren mit seinen Bedürfnissen zu zeigen, in einem Interview [3] treffend mit dem Satz: „Ich frage mich, ob ich zu offen war, meine Erschöpfung zuzugeben.“ Er hatte sich eine Auszeit gegönnt, woraufhin ihm ein Burnout zugeschrieben wurde. Vor allem Kritiker waren schnell dabei, die Frage zu stellen: „Oje, ist es jetzt vorbei?“
Über die Zeit vor der Erschöpfung sagt Villazón: „Bis dahin war mir alles zugeflogen, auf eine wunderbare unschuldige Weise. Aber ich reagierte immer mehr, als dass ich agierte. Wie ein Kind, das gefragt wird: Hey, kannst du diesen Ball mal eben fangen? Und ihn dribbeln und dann ganz schnell weiterwerfen, denn dann kommt auch schon der nächste? Das Kind gibt alles, mit ganzer Energie, aber am Ende des Tages spürt es plötzlich mit einem Schlag: Jetzt kann ich nicht mehr! So ging es mir nach zehn Jahren Karriere. Also gönnte ich mir eine Auszeit.“
Er tat etwas sehr Natürliches, was viele als Kind noch kennen, es aber als Erwachsene nicht mehr tun. Er nahm seine Erschöpfung wahr und sorgte für sich. Doch diese natürliche Reaktion wird
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