Bushido
alles tun zu können, worauf ich Lust habe. Jeder Mensch – und das meine ich vollkommen wertfrei –, der jeden Morgen um acht Uhr im Büro antanzen muss, ist doch gefangen, da er sich an irgendwelche Regeln halten muss, die er selbst nicht aufgestellt hat. Allein bei dem Wort »Angestelltenverhältnis« schüttelt sich mein ganzer Körper. Ich selbst bin als Chef ein kleiner Tyrann. Der einzige Grund, in mein eigenes Büro zu fahren, ist der, meine Angestellten zu mobben. Sie wissen das aber auch und ertragen das entsprechend gelassen. Jedenfalls glaube ich das.
Wenn ich erst um 14 Uhr aufstehen will, dann mache ich das. Wenn es eine Stunde später wird, kümmert es auch keinen. Wenn ich auf Tour bin und wir nachts auf der Autobahn fahren, kann ich jederzeit zu meinem Busfahrer sagen »Stopp!« und er hält. Das wäre zwar bescheuert und würde mir nichts bringen, aber ich hätte immerhin diese Freiheit, selbst darüber zu entscheiden. Genau aus demselben Grund fliege ich auch so ungern. In der Luft habe ich keine Kontrolle über mein Umfeld. Ich kann nicht einfach zum Piloten gehen und ihm befehlen zu landen, nur weil mir danach ist. Obwohl, ich als Araber – nein, Spaß beiseite.
Ich muss einfach immer Herr der Lage sein. Deswegen habe ich auch mit den Drogen aufgehört. Irgendwann wurde mir klar, wie mir langsam, aber sicher mein eigenes Leben aus den Händen glitt und ich keine Kontrolle mehr über mich selbst hatte. Egal ob LSD, Ecstasy, Pilze oder Kokain, du kannst nie den Stecker rausziehen, wenn die Wirkung zu heftig wird. Mal passiert gar nichts, dann dauert es vier Stunden, dann sogar ein ganzes Wochenende. Es gibt keine Garantie dafür, dass du wieder runterkommst und genau auf diesen Kontrollverlust habe ich keinen Bock mehr gehabt. Ich wurde regelrecht paranoid. Selbst kiffen konnte ich nicht mehr. Früher war ich im Vergleich zu heute richtig dick und habe meinen Körper gar nicht so bewusst wahrgenommen.
Eines Tages saß ich mit Selina in ihrem Zimmer, wir haben geraucht und ich bekam Herzrasen. Mich befiel eine innere Unruhe, die ich bis dato nicht gekannt hatte. Ich konnte nicht mehr chillen. Ich wollte einfach nicht mehr! Irgendwas in meinem Körper versuchte mir klarzumachen, dass gerade etwas mächtig schief lief in meinem Leben. Ich weiß noch, wie ich kilometerweit ziellos umhergelaufen bin. Einfach so. Im Walkman lief The Slim Shady EP von Eminem und ich bin wie Lola so weit gerannt, bis ich vor Erschöpfung nicht mehr konnte. Ich traute mich nicht einmal mehr in die U-Bahn-Station runter, was in Berlin ein ziemliches Problem ist, wenn du kein Auto hast und dich in der Stadt bewegen willst. Zwei Jahre lang konnte ich mich nicht überwinden, diese Treppenstufen nach unten zu gehen. Das war schon krass. Je älter ich wurde, desto sensibler habe ich auch meine Umgebung wahrgenommen und plötzlich Dinge gesehen, die mir vorher nie aufgefallen waren. Dieses Gefühl möchte ich nicht mehr verlieren.
Ich denke schon manchmal darüber nach, wie es wäre, ein ganz normales Leben zu führen, wie jeder andere auch. Natürlich würde ich mein Leben nicht wirklich eintauschen wollen, nichtsdestotrotz gönne ich mir manchmal diese Ruhepause, in der ich mich in diese Gedanken flüchte und mir vorstelle, wie es wäre, wenn es diese ganze Popstarscheiße nicht gäbe. Dann sehe ich, wie auch ich mit den normalen Sorgen des Alltags zu kämpfen hätte: Gehe ich zu Kaisers, Edeka oder zu Aldi einkaufen? Kann ich es mir leisten, eine Woche nach Malle in den Familienurlaub zu fahren? Muss ich wirklich meinen Stromanbieter wechseln, wie es der Vertreter an der Tür behauptet hat? Kann ich mit meiner schwangeren Frau und dem Baby in eine 3-Zimmer-Wohnung umziehen, obwohl ich nur 900 Euro netto im Monat verdiene? Und soll ich sie doch heiraten, obwohl ich sie nicht liebe, um vielleicht Steuern zu sparen?
Dann wache ich auf, schüttle mich kurz und sehe die Realität. Aus Anis, dem kleinen Jungen, wurde Bushido, der erfolgreichste deutsche Rapper aller Zeiten. Ich wohne bald in einer wunderschönen Villa, bin Chef meiner eigenen Plattenfirma und – was mir tief im Herzen sogar am wichtigsten ist – ich kann es mir leisten, dass meine Mutter nie mehr arbeiten gehen muss. Ihr ganzes Leben lang war sie für mich da. Jetzt bin ich an der Reihe, ihr ein bisschen was davon zurückzugeben.
Irgendwas scheine ich also doch richtig gemacht zu haben und wenn ich es mir recht überlege, dann ist mein Leben eigentlich
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