Bushido
die Frau, die sich um meine Mutter kümmert.
»Lass den Fernseher ruhig an.«
»Mama, ich mach den jetzt aus!«
Als ich keine Antwort bekam, drehte ich ihn einfach leiser und ging ins Wohnzimmer. Sofort fing meine Mutter an zu reden.
»Du bist morgen wieder bei MTV und danach bei Johannes B. Kerner, stimmt’s?«
»Ja, bin ich, Mama.«
Mein Blick fiel auf den Fernseher, wo gerade auf VIVA die Wiederholung des COMET 2007 lief.
»Ich habe dich gerade gesehen«, sagte sie stolz. »Gut hast du ausgesehen, mein Junge.«
»Mama«, fing ich an und holte noch einmal tief Luft. Ich wollte gerade den Satz zu Ende bringen, als es an der Haustür klingelte.
Oh nein. Nicht jetzt. Ich ging an die Tür, ließ Gabi herein, die, ohne Luft zu holen, direkt anfing loszuschnattern. So war sie halt. Eine übelst atzige Frau mit der typischen Berliner Schnauze. Als meine Mutter ihre Stimme hörte, ging auch sie in die Küche, rührte in ihren Töpfen und das Geschnatter ging erst richtig los. Ich hatte noch nicht einmal die Türe zugemacht, als auf einmal die Wäsche von Kay das Thema war. Das konnte doch alles nicht wahr sein.
»Wann kommt denn dieser Kay wieder? Der kann hier gleich mal antanzen und seine Wäsche mitnehmen. Wat soll ’n ditte hier?«, plärrte Gabi. Jetzt sah ich erst die beiden Tüten im Flur.
»Ach, ist doch kein Problem«, meinte ich. »Die nehme ich gleich selbst mit.«
»Nee, nee«, raunzte mich Gabi liebevoll an. »Der kann das mal schön selbst abholen.«
»Mama, ich kann doch beide mitnehmen.«
»Nein, du nimmst nur eine Tüte mit«, wurde ich schließlich von ihr überstimmt.
»Mama, ich muss mal mit dir reden!«, sagte ich trocken.
»Wie?«, fragte sie.
»Ich muss mit dir reden. Ist wichtig!«
Wäre das nicht so eine ernste Situation gewesen, ich hätte mich vor Lachen weggeschmissen. Meine Mutter schloss die Gabi nämlich einfach in der Küche ein.
»Ey, Gabi, ich muss mit meinem Sohn unter vier Augen reden«, rief sie ihr durch die Tür zu, und wir gingen in das Zimmer meines Bruders.
»Erzähl mal, was gibt es denn?«, fragte sie lächelnd und schaute mich gespannt an. Sie trug ein Kopftuch, da ihr wegen der Chemotherapie die Haare ausgefallen waren.
»Mama, ich war am Freitag in Düsseldorf.«
»Warst du bei deinem Vater?«, kam es sofort wie aus der Pistole geschossen aus ihr heraus.
Ich kam mir in dem Moment so dreckig, so armselig vor, es klang nach dem Motto: Warum bist du nicht früher zu mir gekommen? Du warst am Freitag dort. Heute ist Montag!
»Ja, ich war zusammen mit Arafat und Ashraf bei ihm«, sagte ich leise.
»Und wie geht es ihm?«
»Nicht so gut«, meinte ich und setzte mich neben sie aufs Bett.
»Was?«, sagte sie und schaute mich besorgt an.
Meine Mutter wusste ja wie ich, dass mein Vater einmal einen Schlaganfall gehabt hatte, aber mehr auch nicht. Aus Spaß sagte sie: »Na ja, dein Vater war ja noch nie so richtig fit.«
»Richtig fit? Mama, er hat Krebs.«
Ich sah, wie die Farbe aus ihrem Gesicht wich und sie richtig krass anfangen musste zu weinen. Sie nahm noch schnell die Hände vors Gesicht, aber sie konnte die Tränen nicht verbergen. So hatte ich sie noch nie gesehen.
Ich ließ meine Mutter zu Ende weinen, bis sich der erste Schock etwas gelegt hatte. Dann nahm ich sie in den Arm. Ich meine, so richtig in den Arm. Das hatte ich bisher viel zu selten gemacht.
»Was bin ich nur für ein Sohn?«, flüsterte ich ihr ins Ohr und drückte sie fest an mich.
Doch sie fing nur noch mehr an zu weinen. Diese kleine, zierliche Frau, die selbst sterbenskrank ist, weinte für diesen anderen Menschen, als ob nie etwas gewesen wäre.
Dann hob sie ihr Gesicht, wischte sich mit dem Ärmel die Tränen aus den Augen und sagte: »Es tut mir so leid!«
»Was hast du gerade gesagt?«, erwiderte ich fast schon mit einem wütenden Unterton.
»Es tut mir so leid, was du gerade durchmachen musst.«
»Wie meinst du das, Mama? Hier geht es doch nicht um mich!«, schrie ich.
»Guck mal, ich bin krank. Dein Vater ist krank. Mein armer Junge, was du wohl durchmachen musst.«
Das war so typisch für meine Mutter. Sie ist selbst so krass krank, versucht aber immer noch, es sich nicht anmerken zu lassen und sorgt sich lieber um ihre Mitmenschen.
Als auch mir die Tränen liefen, hörte sie auf der Stelle auf zu weinen und legte ihren Arm um meine Schulter.
»Hör auf zu weinen, mein Bub. Kopf hoch! Das wird schon«, sagte sie, um mich aufzuheitern. Natürlich sagte sie
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