Butenschön
darum. Und immer dran denken: authentisch sein! Die Leute brauchen das.«
Das Handy am Ohr, passierte ich einen am Straßenrand stehenden VW-Transporter, dessen Insassen mir grimmige Blicke zuwarfen. Ein paar Meter weiter glotzte mich das runde Auge eines mobilen Blitzers an. »Sag mal, Marc …«
»Was?«
»Darf man beim Fahrradfahren eigentlich telefonieren?«
»In Ägypten, ja. Bei euch in Deutschland garantiert nicht.«
»Gut zu wissen.«
»Also, hau rein. Und vergiss nicht: Übermorgen um neun landet mein Flieger.«
»Bis dann!«
Ich steckte das Handy ein, griff zum Lenker und bog rechts ab. Einmal um den ganzen Block herum, bis ich mich wieder am Beginn der Nebenstraße befand. Jetzt fiel mir auch das große Tempo-30-Schild an der Seite auf. Ich holte tief Luft. Duckte mich, machte einen Buckel, prügelte mit beiden Füßen auf die Pedale ein. In die Lenkstange beißen. Das Blut in den Ohren kochen hören. Höchstgeschwindigkeit! Der Fahrtwind brüllte. Gib alles, Max! Auf Höhe des VW-Transporters hob ich den Kopf und grinste das Kameraauge an.
Blitz!
Die Faust in den trüben Himmel reckend, fuhr ich weiter. Mein Puls raste. Yes!
Nach diesem Triumph über die kommunale Wegelagerei wäre ich beinahe falsch abgebogen – die Macht der Gewohnheit. Es waren schließlich erst einige Monate vergangen, dass meine Ex-Frau und ich eine Wohnung in Bergheim bezogen hatten. Gemeinsam, jawohl. Während es bei Christines Auszug drüben in Waldhilsbach bittere Tränen gegeben hatte, war mein Vermieter nicht einmal zur Abnahme erschienen. Nun saßen wir zwei im städtischsten Stadtteil von ganz Heidelberg, glotzten vom dritten Stock eines Mietshauses auf Straßenbahnschienen und versuchten herauszufinden, ob wir die richtige Entscheidung getroffen hatten. Immerhin, das war das Beruhigende, ließ sie sich jederzeit rückgängig machen. In Waldhilsbach würden sie Christine mit offenen Armen empfangen, und wer mietete in absehbarer Zeit schon ein Zweizimmerloch wie meines? Aber in Heidelberg bringst du ja sogar Hundehütten an den Mann. An den Hund weniger.
Jedenfalls waren wir mit gemischten Gefühlen in die neue Wohnung gezogen. Gemischt hieß in diesem Fall, dass sich Christines Freude mit meinen schlechten Vorahnungen zu einem wechselwarmen Durcheinander vereinigte. Doch es half nichts, ich hatte es selbst gewollt, hatte Ja und Amen zu einem zweiten Versuch gesagt, und zwar in nüchternem Zustand. Bei vollem Bewusstsein. So kann es einen umkrempeln, wenn man Nacht für Nacht die Mündung einer Pistole spürt, die einem gegen die Schläfe gedrückt wird.
Zugegeben, den Druck an meiner Schläfe spürte ich schon längere Zeit nicht mehr. Trotzdem schlief ich nicht besonders. Ob es an dem Futon lag, den Christine am Tag des Einzugs in unser Schlafzimmer geschleppt hatte, Besitzerstolz im Blick? Vielleicht lag es auch an ihr, die nun Nacht für Nacht da war, röchelnd durch den Mund atmete, sich hin und wieder auf mich draufwälzte, schlaftrunken eine Entschuldigung murmelte, sich womöglich über meine Fahne ärgerte … Die einfach da war. Erinnerungen an früher stellten sich ein: der Geruch des Waschmittels, das sie für das Bettzeug benutzte, ihre morgendlichen Rituale im Bad, die Falten unter den Augen, wenn sie von Migräne geplagt wurde. Manches ließ mich kalt, manches nervte mich, aber ich riss mich zusammen. Das war mein Teil der Abmachung. Gleichzeitig versuchte ich mein Leben so zu führen, wie ich es wollte, und sie hatte mich dabei in Ruhe zu lassen. Das war ihr Teil der Abmachung.
Aber hielt sie sich daran?
Als ich von meinem Besuch in Dossenheim nach Hause kam, war sie schon da. Sie nutzte ihre Mittagspause, um sich in den eigenen vier Wänden ein paar Brote zu schmieren und einen Tee zu trinken. Das tat sie in letzter Zeit öfter, und es missfiel mir. Es roch nach Kontrolle.
»In der Zeitung steht noch nichts«, meinte sie, während sie den Wasserkocher anstellte. »Ein Foto hätten sie ruhig schon mal bringen können.«
»Von wem?«
»Allein dieser Anruf auf deinem Handy war das Eintrittsgeld wert. Übernimmst du den Fall?«
»Sieht so aus.«
»Du hältst ihn also nicht für gefährlich?«
»Ungefährlich.«
»Gut. Dieser Butenschön ist übrigens kein Genforscher, wie ich dachte, sondern Chemiker. Heute steht schon wieder etwas über ihn in der Zeitung.«
»Ich weiß.«
Wir schwiegen ein bisschen, aßen Brote, schrieben einen Einkaufszettel. »Fatty war komisch drauf
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