Butenschön
Haushaltshilfe, ohne es zu ahnen, den Computer mit der Promotion über Butenschön zerstört hätte. Andererseits: So groß dieser Zufall wäre, so klein war Heidelberg. Da kam es schon mal vor, dass man in der Straßenbahn versehentlich seine eigene Frau anrempelte. Falls man Straßenbahn fuhr. Falls man eine Frau hatte, eine echte nämlich und keine bloß wiederangeschaffte.
Jedenfalls war ich gespannt, was sich hinter Susanne Rabes Ankündigung von vorhin verbarg. Ein telefonisches Geständnis vielleicht? Mit der flehentlich vorgebrachten Bitte, sie in meinem nächsten Buch milde zu beurteilen?
Beim Stichwort »Buch« kam mir Marc Covet in den Sinn. Heute breitete er zum letzten Mal sein Hotelhandtuch aus, morgen früh nahm er den Flieger nach Frankfurt, und ich hatte ihn abzuholen. Meine Chauffeurdienste konnte ich mit einem Besuch bei Koschak verbinden, falls ich den bis dahin nicht erreicht hatte. Warum rief mich der Kerl nicht zurück? War er verreist, auf Recherchetour, vorübergehend unpässlich? Ich versuchte es gleich noch einmal telefonisch bei ihm und hatte wieder keinen Erfolg.
Mein Kaffee war alle, ich bestellte einen neuen. So übel hatte er gar nicht geschmeckt, jedenfalls nicht so sehr, wie das Braun-Orange und die Schürzchen hatten befürchten lassen. Mir fiel der Wälzer über Butenschön ein, den mir Knödelchen mitgegeben hatte. Ich holte ihn aus dem Rucksack und legte ihn vor mich auf den Tisch. 400 Seiten, eng bedruckt. Und alles über einen einzigen Mann. Vom Einband blickte er einen an: als junger Wissenschaftler im weißen Kittel, das Haar kurzgeschoren, die Backe von einer martialischen Mensurnarbe gespalten. Weitere Fotos hielt der Innenteil bereit: Butenschöns Eltern, er selbst als Jugendlicher, als Student, auf dem Paukboden mit frischem Schmiss über der Stirn, dann als Institutsleiter in Danzig, in Berlin, im Kreis seiner Mitarbeiter, als Redner, unter Politikern, mit erster Frau, mit zweiter Frau. Sieh an, den Nobelpreis von 1939 hatte er erst nach dem Krieg in Empfang nehmen dürfen. Aus seiner Spätzeit nur wenige Bilder; sie zeigten einen ergrauten, zunehmend gebrechlich wirkenden Mann, dessen Rücken sich immer stärker bog, je mehr Gewicht er verlor. Die Narbe auf seiner Wange war nicht mehr zu erkennen, dafür blieb seine dicke Brille über all die Jahre und Jahrzehnte die gleiche.
Ich sah auf die Uhr: noch eine Viertelstunde. Seufzend ging ich das Inhaltsverzeichnis des Buchtrumms durch. Butenschöns Aufstieg, seine Karriere unter den Nazis und in der Bundesrepublik, seine möglichen Verbindungen zur Rüstungsindustrie während des Kriegs, sein persönliches Verhältnis zu anderen Forschern: Manche Titel musste ich zweimal lesen, um sie zu begreifen. Oder noch einen Schluck Kaffee zugeben. Kapitel Nummer 6, ein Beitrag über die mögliche Verstrickung Albert Butenschöns in Naziverbrechen, hätte mich interessiert. Es ging um den Nutzen, den einzelne Forschungsprojekte im Dritten Reich aus der Errichtung von Konzentrationslagern zogen. Aber da kam ich kaum über den ersten Absatz hinaus. Die Formulierungen abwägend, die Sätze lang, die Fußnoten zahlreich. Schon begannen die Unterarme zu kribbeln: meine alte Akademikerallergie! Lieber zurückblättern, zum ersten Beitrag des Buchs, der einen Abriss von Butenschöns Biografie versprach. Da musste es doch verständlicher zugehen. Also ran an den Speck! Ich machte es mir in meinem Stuhl so bequem wie möglich und legte los.
Albert Butenschön stammte aus kleinbürgerlichem Hause, war ehrgeizig und schielte bevorzugt nach oben. Dorthin, wo die Mächtigen und Reichen wohnten. Vor allem aber hatte er ein Händchen für die Chemie, die bald zu seiner Leidenschaft wurde. Seine Promotion hatte er früher in der Tasche als andere ihren Schulabschluss. Und weil er sich auch sonst als lernfähig und willensstark erwies, keinem der Großkopferten ans Bein pinkelte und regelmäßig in klassische Konzerte ging, galt er bald als die Nachwuchshoffnung der Zunft. Das hielt ihn allerdings nicht davon ab, der nationalen Verblödung zu verfallen und in einem Männerbund namens »Jungdeutscher Orden« völkischen Großmachtsfantasien nachzuhängen. Ein popeliger Nazi war er nicht, unser Butenschön, ganz im Gegenteil, auf die braunen Schlägertrupps schaute er mit Verachtung herab. Die Ordensmitglieder hielten sich nämlich für etwas Besseres, Reineres, und diese elitäre Haltung zog sich durch Butenschöns ganzes Leben. Ob es um seine
Weitere Kostenlose Bücher