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Butenschön

Butenschön

Titel: Butenschön Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Imbisweiler
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Forschungen ging, um Kunst oder die Gesellschaft, immer hielt er das Banner des Elitegedankens hoch. Wer durch den Rost fiel, fiel halt; warum und wieso, kümmerte den Professor nicht. Auch nicht, dass er selbst ein paar akademische Leichen im Keller hatte: jüdische Mitarbeiter, die er allein gelassen, Doktorandinnen, die er abserviert, Konkurrenten, die er aus dem Weg gedrängt hatte. Wer dagegen zum inneren Butenschön-Zirkel gehörte, konnte mit jeder Art von Förderung rechnen. Dem füllte der Chef in der Kantine höchstpersönlich den Teller.
    Ja, die Elite. Erschöpft legte ich das Buch zur Seite. Auf irgendeinem Gebiet war ich auch Elite, ich wusste nur noch nicht, wo. Dürfte ich sämtliche Fächer der Universität ausprobieren, würde ich es bestimmt herauskriegen. Max Koller, ein Leuchtturm der Hethitologie. Sonderforschungsbereich Kneipenwissenschaft, im Exzellenzcluster Biervertilgung.
    »Toll, der Kaffee, was?«, freute sich Deininger. Ich hatte ihn gar nicht kommen sehen. Er reichte mir seine weiche Pranke, die ich vorhin bereits geschüttelt hatte; egal, menschlicher Kontakt war wichtig, körperlicher Kontakt sehr wichtig, gerade in diesen elitären Zeiten. Bärchen Deininger stammte aus dem Odenwald, ich aus der Vorderpfalz, volksnahes Mittelmaß schweißte uns zusammen.
    »Ein bewegtes Leben hatte der alte Butenschön«, sagte ich und schob ihm das Buch hin.
    »Der? O ja, allerdings.« Er hängte seinen Mantel an die Garderobe. »Das ist Evelyns Exemplar, stimmt’s? Sie hat es mir einmal gegeben, aber irgendwie kam ich nicht zum Lesen.«
    »Ich schaue mir auch bloß die Bilder an. Außerdem bevorzuge ich das direkte Gespräch mit den Menschen. Was in diesem Fall eine echte Herausforderung ist. Frau Butenschön erstickt jeden Kontaktversuch im Keim.«
    »Ja, diese Leute schotten sich regelrecht ab«, murmelte er zerstreut, die Speisekarte in der Hand. Eine der Kellnerinnen war zu uns getreten und wartete, das obligatorische Blöckchen in der Hand. »Einmal die Sülze mit Bratkartoffeln, aber bitte nur wenig Öl an die Kartoffeln.« Er rieb sich verlegen über seine Plauze.
    »Für mich dasselbe«, nickte ich, »und kippen Sie das Öl, das Sie ihm klauen, über meinen Teller.«
    Die Bedienung ging, ohne eine Miene zu verziehen.
    »Wo waren wir?«, sagte Deininger und zog ein Taschentuch, um sich vorsichtig zu schnäuzen.
    »Bei den Butenschöns. Und dass es verdammt schwer ist, an sie heranzukommen. Ich wurde nicht mal ins Haus gelassen.«
    Erstaunt schaute er mich an. »Sie waren dort? Einfach so?«
    »Das ist meine Methode. Zu den Leute hingehen, sie mir aus der Nähe anschauen. Aber nicht einmal dazu kam ich.«
    »Sie haben vorher nicht telefoniert?«
    »Nein.«
    Er nickte nachdenklich. »Die Frau soll schnell mit ihren Rechtsanwälten zur Hand sein, heißt es. Da kann man nichts machen.«
    »Werden wir sehen, Herr Deininger. Widerstand reizt mich nur. So leicht lasse ich mich nicht abwimmeln.«
    »Toll.« Jetzt grinste er wieder.
    Drei, vier Sätze später kam bereits die Sülze. Als wenn sie auf uns gewartet hätte! Bei den Kartoffeln war kein Unterschied zu erkennen, beide Portionen glänzten und trieften, dass es eine Freude war. Deininger schien das nicht zu stören, er langte herzhaft zu und erzählte von seinem Job. Als ich ihn fragte, seit wann er und Evelyn sich kannten, flog ein Strahlen über sein Gesichtsrund.
    »Schon ewig, Herr Koller. Echte Sandkastenfreunde sind wir, wenn ich’s Ihnen sage! Wir kommen beide aus demselben Kaff: Schnakenbach im Odenwald. Jott-we-de, aber hübsch, wirklich. Schauen Sie mal vorbei, in einem knappen Stündchen sind Sie dort.«
    Und er plauderte weiter: wie er und Evelyn dieselbe Grundschule im Nachbarort besucht hatten, tipp-tapp, sommers wie winters, quasi Hand in Hand, dann das Gymnasium mit Ach und Krach, aber nie ohne einander. Gemeinsame Konfirmation, sogar die Kinderkrankheiten zeitgleich. Später verschiedene Freunde, klar, er mit seinen Jungs und den frisierten Mofas, sie mit ihren Mädels und den Discos, aber Tanzstunde zusammen, keine Frage, und überhaupt galten sie schon immer   –   »echt, schon immer, Herr Koller«   –   als unzertrennlich, als das Traumpaar von Schnakenbach. Verlobt mit 19, Heirat mit 22. Da fing er bei der Bank an, zunächst in Weinheim, also noch mal Jott-we-de, während sie MTA ganz woanders wurde.
    »Medizinisch-technische Assistentin«, erläuterte er, den Mund voll Bratkartoffeln. »Kliniklabor und solcher

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