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Butenschön

Butenschön

Titel: Butenschön Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Imbisweiler
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Ehrenbürgertauglichkeit bewies. In Heidelberg scheint man ein Herz für solche Erfüllungsgehilfen zu haben.«
    »Verloren zu haben«, präzisierte ich. »Denk an das Lied.«
    »Hat sich euer Butenschön denn persönlich die Finger schmutzig gemacht?«, wollte Fatty wissen.
    »Nach derzeitigem Wissensstand nicht, meint die Deininger.« Demonstrativ säbelte ich ein Stück meines Knödels ab, auch wenn die anderen das nicht verstanden. »Er hat bloß den üblichen Mitläufertugenden gehuldigt. Das aber nach Kräften: wegschauen, wegducken und hinterher von nichts gewusst haben wollen. In den höheren Sphären der Erkenntnis ist Zivilcourage nicht so angesagt.«
    »Naja«, murmelte Fatty. »Wer weiß, wie wir damals gehandelt hätten?«
    »Wie meinen?« Die Knödelscheibe, die ich mir eben zum Mund führen wollte, stoppte auf halbem Weg. »Was ist denn das für eine Bemerkung? Willst du den Kerl verteidigen?« Auch Christine hob fragend eine Braue.
    »Quatsch, nicht verteidigen«, wehrte er sich. »Ich meine bloß, dass es sich vom heutigen Standpunkt aus leicht urteilen lässt. Die Leute damals …«
    »Natürlich lässt es sich heute leicht urteilen«, rief ich. »Viel leichter, Gott sei Dank! Aber wie und wann wir gerade leben, ändert nichts am Urteil selbst!«
    »Vielleicht doch«, druckste er herum. »Schließlich muss man die Umstände mit einbeziehen, unter denen diese Menschen gehandelt haben. Du weißt ja nie, unter welchem Druck sie standen, ob sie vielleicht persönlich gefährdet waren.« Unruhig rutschte er auf seinem Stuhl hin und her. »Ich meine ja nur.«
    Perplex schüttelte ich den Kopf. War das noch mein alter Freund Friedhelm Sawatzki, der an unserem Tisch saß und um Nachsicht für das Heer der Nazimitläufer bettelte? In der Sache, klar, da ließ es sich trefflich streiten; ein Max Koller gehörte zu den Letzten, die den Stab über ihren Mitmenschen brachen, nur weil die aus Feigheit oder Egoismus die falsche Entscheidung getroffen hatten. Keine Ahnung, wie ich mich in den Dreißigern verhalten hätte, wäre ich ein aufstrebender Lokalpolitiker oder ein verheißungsvoller Nachwuchswissenschaftler gewesen. Aber Fatty, mein Freund Fatty, der sich mit schlichten Parolen und klaren Ansagen durchs Leben hangelte: Rechts steht der Feind, die Ausbeuter regieren, alle Macht dem Volke! Und falls du dir unsicher bist, schlag nach bei Marx   –   Zitat Ende. Nun wollte derselbe Kerl in mir Verständnis für Kollaborateure und Abnicker wecken! Vielleicht war es gar nicht Fatty, der da saß, sondern ein Doppelgänger, ein Alien wie zuletzt Michael Deininger im Englischen Jäger, ein animierter Avatar! Oder er erlaubte sich einen dämlichen Scherz, war kurz davor, in Gelächter auszubrechen, dass es seinen Bauch gegen die Tischkante schüttelte.
    Aber nein, Friedhelm Sawatzki, der Kindergärtner mit den polnischen Wurzeln, schaute bedröppelt drein, um kraftlos zu wiederholen: »Ich meine nur …«
    »Ja, mein du nur!«, echote ich. »Es geht nicht um die Umstände, unter denen diese Leute damals gehandelt haben. Dass die prekär waren, weiß ich selbst. Und wenn es doch um sie geht, dann müssen alle mit einbezogen werden. Auch dass die Heidelberger Juden waggonweise nach Gurs verschleppt wurden, gehört zu den Umständen, unter denen dieser Neinhaus regiert hat. Und die Organpost aus Auschwitz gehört zu den Umständen, unter denen Albert Butenschön in Berlin arbeitete. Aber das ist meiner Meinung nach gar nicht der Punkt. Der Punkt und damit der Skandal ist, dass all diese Wegducker und Nichtwisser sich niemals einer Diskussion um ihr Verhalten gestellt haben. Dass sie immer nur Nein sagten: Nein, wir wussten das nicht; nein, wir hätten nicht anders handeln können; nein, wir haben das nie unterstützt. Vielleicht gibt es keine Kollektivschuld einer Nation. Eine kollektive Schuldlosigkeit aber auch nicht.«
    »Weiß ich doch«, sagte Fatty, ohne mich bremsen zu können.
    »Wenn Professor Butenschön, der hochgeehrte, bestverdienende, irgendwann einmal öffentlich verkündet hätte: Leute, wie ich mich damals im Dritten Reich verhalten habe, das war Mist   –   Fatty, der Mann hätte meinen Respekt. So eine Aussage würde all seine zwielichtigen Manöver von damals aufwiegen. Dass er sich nicht persönlich gegen die Verbrechen der Nazis gestellt hat, dass er nicht Widerstand geübt hat   –   darum geht es nicht. Wer wollte ihm das zum Vorwurf machen? Aber so hätte er wenigstens den kommenden

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