Butenschön
gegen das große Holztor. »Sehr gut«, sagte er. »Ich wusste, dass ich mich auf Sie verlassen kann.«
Wortlos ging ich voran. Mein Gast stolperte zweimal über die unregelmäßigen Pflastersteine des Hofs, nickte aber zufrieden, als er die hohen Mauern sah, die das Grundstück begrenzten. In meinem Büro nickte er erneut.
»Riecht wirklich komisch hier. Kaninchen?«
»Sittiche. Wenn Sie in einer Ecke noch eine Handvoll Vogelfutter finden, dürfen Sie es essen.« Ich rückte ihm den Stuhl zurecht, auf dem drei Tage vorher Michael Deininger gesessen hatte, und nahm selbst hinter dem Schreibtisch Platz. »Dann mal raus mit der Sprache. Was ist für morgen geplant?«
Er stellte Koffer und Rucksack ab, setzte sich und schaute sich um. »Cooles Büro. Hab ich in der Form auch noch nicht erlebt. Was geplant ist? Ganz einfach. Der Verkäufer aus Russland kommt nach Heidelberg, übergibt mir die Dokumente und bekommt dafür die ausgemachte Summe. Beziehungsweise das, was er noch nicht als Vorschuss erhalten hat.«
»Wann und wo?«
»Um zehn auf dem Wehrsteg.«
»Auf welchem Wehrsteg?«
»Na, dem Bergheimer, gleich hier um die Ecke. Gibt es noch einen anderen?«
»Am Ende der Altstadt, beim Karlstorbahnhof. Und flussaufwärts einen, kurz vor Neckargemünd.«
»Nein, ich meinte schon Ihren hier. Trifft sich gut, dass Sie in Bergheim wohnen. Was macht eigentlich Ihr Kopf? Alles in Ordnung?«
»Wenn Sie die Beule meinen, ja. Warum eine Übergabe im Dunkeln und so konspirativ?«
Er lachte. »Also, dass der Russe keine Lust auf Öffentlichkeit hat, ist doch klar. Stellen Sie sich mal vor, wir würden das Zeug in irgendeinem Café ausbreiten!«
»Auf dem Steg werden Sie kaum prüfen können, ob die Unterlagen etwas taugen.«
»Das kann ich auf die Schnelle ohnehin nicht. Frau Deininger und ich werden uns die Akten in aller Ruhe anschauen, und der Russe hat mir versprochen, in der Stadt zu übernachten.«
»Um zehn auf dem Wehrsteg«, nickte ich und versuchte mir, die Situation vorzustellen. »Wo soll ich in dieser Zeit sein?«
»Auf keinen Fall in meiner Nähe. Sonst kommt die Übergabe nie zustande. Nein, Sie warten am Ufer und überwachen den Steg. Ich habe ein Nachtsichtgerät dabei.« Er zeigte auf seinen Rucksack. »Und bitte nehmen Sie eine Waffe mit. Es ist zwar so gut wie ausgeschlossen, dass mir heute jemand gefolgt ist, aber man kann nie wissen.«
»Haben Sie die auch im Rucksack?«
»Eine Waffe? Meine, ja. Nehmen Sie Ihre eigene. Sie haben doch wohl eine, als Privatdetektiv?«
Ich zuckte die Achseln. Wer es erst seit Kurzem zu einem eigenen Büro gebracht hatte, für den waren Waffen ein Fernziel. Außerdem übernahm ich keine gefährlichen Fälle mehr. »Herr Koschak«, sagte ich und rieb mir die Augen, »jetzt mal ganz ehrlich: Mir missfällt die Sache. Sie missfällt mir sogar sehr. Ich werde das Gefühl nicht los, dass Sie mir etwas verschweigen. Ist die Übergabe vielleicht doch eine gefährliche Angelegenheit? Geht es am Ende um etwas ganz anderes als um die Butenschön-Dokumente?«
Er starrte mich mit offenem Mund an. »Wie bitte? Worum soll es denn gehen? Ich weiß wirklich nicht, was Sie meinen. Ich kaufe dem Mann die Papiere ab, weil ich mir viel davon verspreche, genau wie die Deininger. Und ich tue es zu seinen Bedingungen, mir bleibt gar nichts anderes übrig. Der Kerl will Kohle machen, ist doch klar. Ich auch, Herr Koller. Wobei ich Ihnen ja sagte, dass die Geschichte kein Topseller für mich ist. Die läuft nebenher. Und die Übergabe – mein Gott, da bin ich schon unter ganz anderen Umständen an Material gekommen.«
»Mag sein. Aber was, wenn diese heiße Story, von der Sie die ganze Zeit raunen, eine Erfindung ist und Sie in Wirklichkeit vor dem Russen Angst haben? Oder sogar vor Butenschön? Weil mehr hinter der Sache steckt als bloß ein paar halbsensationelle Informationen aus der Vergangenheit?«
»Quatsch.« Nun sah er regelrecht beleidigt drein. »Dann würde ich die Übergabe tatsächlich in ein Café verlegen, also genau dorthin, wo mir nichts passieren kann.«
»Gerade sagten Sie, der Russe würde die Bedingungen diktieren.«
»Ja, aber sollte ich wirklich Angst vor ihm haben, würde ich nicht darauf eingehen.«
»Sie haben Angst, Herr Koschak.«
Er lachte. »Hören Sie, es ist wirklich ein ungünstiger Zufall, dass sich die beiden Geschichten, an denen ich dran bin, so kreuzen. Ginge es nur um die Übergabe der Butenschön-Akten, müsste ich dieses
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