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Butenschön

Butenschön

Titel: Butenschön Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Imbisweiler
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saß bei uns, starrte auf unsere Teller und sah aus, als warte er auf etwas. Auf eine Bemerkung, eine Frage, was weiß ich. Christine erzählte irgendeinen Schwank von der Arbeit, nur damit keiner von uns auf den Gedanken käme, sie ärgere sich über die Störung. Ich mittendrin, genervt von allem: von der Larmoyanz Fattys, von Christines Lustigkeit und von mir, weil ich nicht wusste, wie ich mich verhalten sollte. Kein Wunder, dass meine Gedanken immer wieder zu Koschak und zum Geburtstag des Professors abschweiften.
    »Morgen schleiche ich mich bei Butenschön ein«, sagte ich, als es sich auserzählt hatte mit den Arbeitsschwänken.
    Fatty hob den Kopf. »Einschleichen? Wie das?«
    »Als Student, der einen Kellner spielt. Doppelt verkleidet sozusagen. Butenschöns feiern zuhause, und ich bin dabei.«
    »Wer hat dich denn auf diese Idee gebracht?«
    Ich berichtete von Susannes Angebot, und Christine ergänzte, sie habe sich schon ganz genau überlegt, wie sie mich morgen früh zurechtmachen wolle. Auf dass ich den alten Damen keinen Schreck einjagte mit meiner Visage.
    »Die Beule wegzuschminken, wird eine Herausforderung. Noch einen Knödel, Max?«
    »Immer.« Während ich aß, brachte ich Fatty in Sachen Butenschön auf den neuesten Stand, erzählte ihm von Koschak, Malewski und den Handschuhsheimer Kürbissen. Er lauschte meinem Bericht ohne nennenswerte Reaktion, selbst mein Zusammentreffen mit der Hobbykellertür in Goldstein war ihm bloß ein müdes Lächeln wert.
    »Spannende Geschichte«, murmelte er zuletzt. Spannend? Genauso gut hätte er sie hellgrün nennen können. Oder rechteckig.
    »Wolltest du eigentlich etwas Bestimmtes von uns?«, fragte ich.
    »Nee, wieso? Eva ist schwimmen, da dachte ich, ich höre mal nach, was dein Fall macht und so. Wenn ich störe, kann ich ja wieder …«
    »Das Einzige, was stört, sind deine gierigen Blicke auf unser Essen. Nimm dir endlich einen Teller und bedien dich, Fatty!«
    »Dieser Butenschön«, wich er aus, »was für eine Rolle hat der nun gespielt im Dritten Reich? Täter oder Opfer?«
    Ärgerlich schüttelte ich den Kopf. »Also, mir schmeckt’s«, versicherte ich Christine. »Knödel spitze, Sauerbraten hervorragend. Lass dich von seinen Ablenkungsmanövern nicht irritieren.«
    »Das sind keine   …   Mensch, Max, mich interessiert wirklich, was der damals angestellt hat. Und dass es euch schmeckt, sieht man.«
    »Man sieht es? Dabei essen wir doch ganz manierlich. Okay, vergiss es. Zurück zum Gegenstand deines Interesses: Als Opfer kann man den alten Butenschön nun wirklich nicht bezeichnen. Ihm ging es vergleichsweise gut. Während die einfachen Soldaten an der Front gestorben sind, hat er fröhlich weitergeforscht in seinem Berliner Institut. Und die Urkunde für den Nobelpreis durfte er auch noch entgegennehmen, nach dem Krieg.«
    »Also ein Täter.«
    Kauend schüttelte ich den Kopf.
    »Ein Mitläufer«, antwortete Christine an meiner statt. »Wie es so viele gab. Wobei ich nicht finde, dass das Wort ›mitlaufen‹ ihm und seiner herausgehobenen Position gerecht wird.«
    »Ich schon«, widersprach ich mit vollem Mund. »In moralischer Hinsicht ist Butenschön der perfekte Mitläufer: ein Durchschnittstyp. Nur auf seinem Fachgebiet, da hat er Überdurchschnittliches geleistet, und das ließ ihn die Nase höher tragen. Elite, du weißt schon.«
    Fatty nickte halbherzig.
    »Genau deshalb«, fuhr ich fort, »hat er immer und überall funktioniert, gleich unter welchem politischen System. Demokratie, Diktatur   –   egal. Auf so einen Mann konnte man sich blind verlassen. Wahrscheinlich hätte er auch bei den alten Römern in sämtlichen Gremien gesessen und den Nobelpreis bekommen. Frei nach dem Motto: Wir Wissenschaftler liefern ja nur Ergebnisse. Was die böse Politik draus macht, dafür können wir nichts.«
    »Das erinnert mich übrigens an den alten Neinhaus«, hakte Christine ein und ließ sich Wein nachschenken.
    »Wer soll das sein?«
    »Carl Neinhaus, Oberbürgermeister von Heidelberg. Auch so ein systemunabhängiger Erfolgsmensch: Amtsübernahme während der Weimarer Republik, unter den Nazis brav weiterregiert und nach einer Denkpause 1952 wiedergewählt. Eine solche Kontinuität kann kaum eine andere deutsche Stadt bieten.«
    »Neinhaus?« Fatty kratzte sich am Kopf. »War das nicht der Typ, der Goebbels zum Ehrenbürger gemacht hat?«
    »Und einen gewissen Adolf Hitler«, nickte Christine. »Womit er wiederum seine eigene

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