Der falsche Apostel
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|9| VORBEMERKUNG
Die Kriminalgeschichten um Schwester Fidelma spielen im siebenten Jahrhundert Anno Domini, vorwiegend in Irland, ihrem Heimatland.
Schwester Fidelma ist nicht eine fromme Klosterschwester schlechthin. Sie gehört der Glaubensrichtung an, die wir heute die
Keltische Kirche nennen. Diese hat sich lange im Widerstreit mit Rom befunden. Dabei ging es immer wieder um theologische
Fragen und auch um die Gestaltung des Zusammenlebens weltlicher Gemeinschaften. Es gab voneinander abweichende Auffassungen
darüber, wie der Gottesdienst abzuhalten sei, über die Datierung des Osterfests, über die Art, die Tonsur zu tragen. Das Zölibat
hatte sich nicht überall durchsetzen können. In vielen Abteien lebten Männer und Frauen zusammen und erzogen ihre Kinder im
christlichen Glauben zum Dienst an Gott. Fidelma ist eine gut ausgebildete
dálaigh,
eine Anwältin an den Gerichtshöfen Irlands, deren Grundlage die von alters her geltenden Gesetze der Brehons waren. Damals
konnte eine Frau ebenso wie jeder Mann in den höhere Bildung voraussetzenden Berufen wirken. Nicht wenige Frauen waren Anwälte
oder Richter. Es ist ein Dokument überliefert, in dem die Richterin Brig in einem Berufungsverfahren das Urteil des Richters
Sencha über die Rechte einer Frau revidiert.
Den Lesern, die Schwester Fidelma auf ihren Abenteuern in |10| der Romanserie begleitet haben, ist vermutlich nicht bewusst, dass sie erstmals in einer Kurzgeschichte auftrat. Im Oktober
1993 erschienen in unterschiedlichen Publikationen vier Geschichten mit Fidelma als Hauptperson. Die wohlwollende Aufnahme
dieser Erzählungen führte dazu, dass Fidelma zur Heldin vieler Romane wurde. Dennoch ebbte das Verlangen nach weiteren Kurzgeschichten
nicht ab. So entstanden die in diesem Band vereinten fünfzehn Detektivgeschichten.
Auch darf ich meinen Lesern verraten, dass es ursprünglich gar keine Fidelma gab. Während meiner wissenschaftlichen Arbeiten
als Keltist kam mir der Gedanke, die Figur einer irischen Nonne zu schaffen, die als Anwältin im alten Irland geheimnisvolle
Verbrechen aufklärte. Das gab mir die Möglichkeit, eine größere Leserschaft mit dem faszinierenden Rechtswesen der irischen
Kelten vertraut zu machen und auf die hervorragende Rolle hinzuweisen, die Frauen in jener weit zurückliegenden Zeit spielten.
In der ersten Geschichte, die ich 1993 schrieb, hieß die Hauptgestalt Schwester Buan. Das ist ein altirischer Name, er bedeutet
so viel wie »Ausdauer« und geht auf eine Königstochter zurück, die in der Sage den Helden Cúchulainn in den Kampfkünsten unterweist.
Als ich das Manuskript meinem Freund Peter Haining zeigte, dem Schriftsteller und Herausgeber von Sammelbänden, gefiel ihm
die Geschichte, doch bei dem Namen warf er entsetzt die Hände hoch. Er fand, der ginge nicht glatt über die Zunge, obwohl
er so kurz sei.
Ich dachte darüber nach, und schon wurde Fidelma geboren; es war, als hätte sie nur darauf gewartet, von mir entdeckt zu werden.
Auch dieser Name ist uralt und bedeutet »die mit dem glatten Haar«. Kaum hatte sich Fidelma derart ins Leben gedrängt, ging
alles wie von selbst. Ihr Name gab ihr einen Hintergrund und eine Familie! Die männliche und weibliche Form |11| des Namens waren in der Königsdynastie der Eóghanachta verbreitet, die das Königreich Munster von ihrem Hauptort Cashel (in
der Grafschaft Tipperary) regierten. Außerdem war ich in der Landschaft zu Hause, denn die Vorfahren meines Vaters siedelten
schon vor 700 Jahren, wie Urkunden zeigen, etwa sechzig Kilometer von Cashel. Dieser Ort ist für mich immer ein besonderer
Ort gewesen, in dem Magie, Geheimnisumwittertes und reale Geschichte aufeinandertreffen.
So nimmt es nicht Wunder, dass Fidelma sofort ihre Identität gewann als Tochter des Königs Failbe Fland, der zwischen 637
und 639, wenige Monate vor Fidelmas Geburt, starb. Bevor sie also in ein Kloster eintrat und zur Anwältin herangebildet wurde,
wuchs sie als Prinzessin im Clan der Eóghanachta auf.
Aufmerksamen Lesern wird aufgefallen sein, dass ich in der Abfolge der Romane eine strenge Chronologie eingehalten habe. In
der Regel begibt sich die Handlung der Geschichten zwischen dem Frühjahr 664 und dem Herbst 666. Anno Domini 666 war Fidelma
besonders stark eingebunden, denn in dem Jahr hatte sie zwischen Januar und Oktober nicht weniger als vier ganze Romanbände
füllende Kriminalfälle zu lösen.
Die
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