Butterblumenträume - Rath, C: Butterblumenträume
Ich muss grinsen, denn eigentlich hat Nini um diese in ihren Augen oft ›verwöhnten Bürschchen‹ bis jetzt immer einen Riesenbogen gemacht. Die Kneipe ist das Gegenteil von schick und im Grunde simpel und altmodisch gestaltet. Mit dem dunklen Holz wirkt sie fast wie ein englisches Pub, und es gibt dort unter anderem auch Guiness-Bier zu trinken. Vielleicht ist ein Teil des Erfolgs dieser Gaststätte, dass es dort wirklich völlig unkompliziert zugeht und jeder, ob arm oder reich, willkommen ist. Ich kann mir denken, dass sich viele der Salemschüler in dieser ›normalen‹ Umgebung richtig wohl fühlen. Das Schloss Salem beherbergt Schüler aus den besten Familien Deutschlands und Europas, und wer dort seinen Schulabschluss macht, hat nützliche Verbindungen für sein ganzes weiteres Leben geknüpft. Na ja, die Schule ist ja auch nicht billig, dafür genießt sie international einen ausgezeichneten Ruf.
»Ist Marcus Externer oder lebt er im Internat?«, frage ich Nini, die immer noch begeistert von ihm erzählt.
»Er lebt zu Hause. Seine Eltern haben vor Meersburg ein Haus am Hang.«
Aha. Viel mehr zu toppen ist nicht möglich. Es gibt in dieser exponierten Lage zwischen Unteruhldingen und Meersburg nur wenige Häuser, die am Hang liegen, und die sehen allesamt nach richtig viel Geld aus. Ich mache mir so meine Gedanken. Was will so ein Junge mit meiner Nini? Ich meine, natürlich ist sie für mich das schönste, klügste und bezauberndste Mädchen der Welt. Und wahrscheinlich sieht er das genauso, aber ob seine Eltern derselben Ansicht sind? Schließlich kenne ich das Gefühl, ›nicht gut genug zu sein‹, aus eigener Erfahrung mit der Familie Römfeld. Und das würde ich ihr gern ersparen. Wahrscheinlich mache ich mir wieder einmal viel zu viele Gedanken. Denn im Moment sind sie frisch und, wie es aussieht, richtig verliebt. Da spielen solche Dinge wie Familie und so weiter keine Rolle. In diesem Alter ohnehin nicht, oder?
»Also hat es dich richtig erwischt, meine Kleine«, sage ich und streichle ihr über die Wange. Wir haben zum Reden eine dicke Kerze angezündet, und im Kerzenschein sieht sie noch hübscher aus als sonst.
»Hm, ja, sieht so aus«, lächelt sie.
»Du musst ihn unbedingt kennenlernen, dann wirst du mich verstehen. Vielleicht schon morgen?«
»Ich kann es kaum erwarten, so, wie du ihn beschreibst. Aber ich muss dir auch was erzählen …«, und dann beschreibe ich den Abend der Modenschau in allen Einzelheiten und mit allen gesehenen Outfits, und zum Schluss komme ich auf Anouk zu sprechen.
»Ach, Mami, mach dir doch keine Gedanken«, unterbricht sie mich.
»Diese Anouk mag ja hübsch und sexy sein, aber dir kann sie sicher nicht das Wasser reichen. Ich bin überzeugt, dass Leon das genauso sieht. Wahrscheinlich war er heute total im Stress, du weißt doch, wie das manchmal bei ihm zugeht.«
Habe ich schon erwähnt, dass ich die wunderbarste Tochter der Welt habe? Dennoch, so ganz überzeugt hat sie mich nicht. Es ist schon fast zwölf, und er hat sich noch immer nicht gemeldet. Und jetzt arbeitet er sicher nicht mehr. Ich erzähle Nini, dass ich in der Mittagspause mit ihrer Omi auf der Promenade einen Salat essen war und dass sie mir wieder nur von ihrem Brieffreund Steve vorgeschwärmt hat.
»Die Omi!«, lacht Nini. »Das ist so eine. Klingt fast so, als wäre sie auch verliebt.«
»Meinst du wirklich?« Ich kann das nicht glauben. Schließlich kennt sie ihn doch gar nicht.
»Das kannst du so nicht sagen, Mami. Wie lange schreiben sie sich schon? Ein Jahr? Da kann man sich viel erzählen, von seinen Träumen, seinen Gedanken, seinem Leben.«
Mein Gott, das Kind ist nicht nur hübsch, sondern auch weise. Wo hat sie das bloß her?
»Aber verlieben tut man sich doch nicht in das geschriebene Wort. Dazu gehört auch die ganze Person, wie sie aussieht und wie sie sich gibt«, meine ich, und so philosophieren wir noch eine Weile herum. Nini ist durchaus der Meinung, dass es möglich ist, sich in einen Menschen zu verlieben, den man noch nie zuvor im Leben gesehen hat und nur von Fotos und aus Briefen kennt. Na, wir werden sehen. Wie ich meine Mutter kenne, wird sie uns wohl noch zu überraschen wissen … Aber inzwischen ist es schon spät und die langen Gespräche über die Liebe haben uns müde gemacht. Ich spreche Leon ein kurzes »Gute Nacht« auf die Mailbox und kuschele mich in meine Kissen. Doch ich schlafe unruhig ein, weil ich heute so gar kein Lebenszeichen von ihm
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