Butterblumenträume - Rath, C: Butterblumenträume
doch bitte auf die Terrasse hinter den Blumenkübel, das wäre wirklich sehr nett von Ihnen, vielen Dank. Es ist klein und rot.«
Ich habe das Gefühl, selbst feuerrot zu werden, wahrscheinlich nur wegen der Notizbuch-Lüge oder vielleicht auch wegen seines frechen Grinsens. Er wünscht mir einen schönen Abend, setzt sich in seinen Volvo und fährt los. Ich koste noch einen Moment diese wundervolle Stille und den herrlichen Seeblick aus, dann wird es langsam kühl, und ich schwinge mich wieder auf mein Rad und radle Richtung Überlingen. Zu Hause angekommen, ist Nini schon da und endlich kann ich sie nach Marcus fragen.
Kapitel 6
Die Liebe
Nini sitzt auf dem lila Sofa und schaut sich im Fernsehen eine Folge von ›Let’s Dance‹ an, vor sich einen Teller mit leckeren Leberwurst- und Salamibroten. Eigentlich hatte ich mir ja vorgenommen, beides nie wieder zu essen, weil ich kürzlich in einer Zeitschrift die Kalorienanzahl und den Fettanteil beider Wurstsorten gelesen habe. Sie stehen auf der Liste der ›roten‹ Lebensmittel und sind nach dem Ampel-Prinzip streng verboten. Sie wissen schon, grüne Lebensmittel darf man so viel und oft essen, wie man will (wie der Name schon sagt, bestehen sie fast nur aus Salat und Gemüse), gelb darf man sich hin und wieder erlauben (das sind dann so Sachen wie mageres Fleisch, Fisch und Obst), und rot sollte man gar nicht essen, weil sie ungesund sind, dick und krank machen (also zum Beispiel Pizza, Spaghetti und andere Nudelsorten, Schokolade, Kuchen und ähnliche Sachen, unter anderem auch Leberwurst und Salami). In derselben Zeitschrift stand aber auch, dass man das Leben genießen soll. Da ich der Meinung bin, dass zu einem genussvollen Leben auch der genussvolle Umgang mit Essen gehört, sehe ich nicht ein, warum ich mir die Dinge, die mir am besten schmecken, immerzu verkneifen soll. Das kann auch nicht gesund sein. Und frei nach Oskar Wildes Ansicht ›Ich kann allem widerstehen, nur nicht der Versuchung‹, schnappe ich mir ein Leberwurstbrot, noch bevor ich die Schuhe richtig ausgezogen habe.
»Na, Muttili«, sagt Nini, »bei den Reichen und Schönen mal wieder nur ›Etepetete-Essen‹ von Weitem gesehen?« Statt eine Antwort zu geben, nicke ich mit vollen Backen und werfe einen kurzen Blick auf mein Handy. Weder hat Leon auf meine SMS geantwortet noch hat er versucht, mich zu erreichen. Das ist äußerst seltsam. Eigentlich ist Leon ein sehr pünktlicher und zuverlässiger Mensch und ruft mich jeden Tag an, sogar wenn er mit seinen Freunden beim Skifahren ist oder irgendwo zum Golfen. Kann es sein, dass er wirklich böse ist auf mich? Habe ich mich nicht gut genug benommen gestern Abend, oder ist er womöglich mit dieser Anouk unterwegs? Und wieder sticht der Stachel der Eifersucht. Seufzend lege ich das Handy weg und gieße mir ein Glas von dem Rotwein aus dem Supermarkt ein, bevor ich es mir mit einem großen Stück Schokokuchen bei Nini auf dem Sofa gemütlich mache.
»Nanu, kein Römfeld-Weinchen heute Abend?«, fragt sie mich provozierend und zieht dabei eine Augenbraue hoch. »Habt ihr etwa Knatsch?«
»Ach, Männer«, antworte ich, »manchmal kann man die echt vergessen.«
»Find ich eigentlich nicht«, sagt sie darauf, »jedenfalls im Moment«, und strahlt dabei übers ganze Gesicht. Die Turnschuhe. Wusst’ ich’s doch.
»Erzähl! Wer ist er, was macht er und was ist sein Vater von Beruf?«, scherze ich. Ich merke ihr an, dass sie nichts lieber tun als über ihn sprechen will, denn sie sprudelt sofort los: »Also, er heißt Marcus, ist 19 und macht gerade Abi in Salem. Ja, sein Vater ist Banker oder so in einer Privatbank in Schaffhausen. Seine Mutter ist Psychologin und hat eine eigene Praxis und außerdem ein paar Pferde. Geschwister hat er keine. Er spielt Tennis und Golf und er schreibt Gedichte. Mami, und außerdem … ist er sooooo süß. Du musst ihn unbedingt kennenlernen.«
»Meine Güte!« Mir bleibt die Spucke weg.
»Da hast du dir ja was Schönes geangelt.«
Der erste Junge, von dem meine Tochter in höchsten Tönen schwärmt, und dann ist das gleich so ein Kracher.
»Wo lernt man denn solche Jungs kennen?«
»Im ›Galgen‹ natürlich, wo sonst«, sagt Nini.
»Da sind doch immer die ganzen ›Schlossis‹.«
Der ›Galgen‹, eigentlich das ›Galgenhölzle‹, ist eine stadtbekannte, urige Kneipe, in der überwiegend die Jugendlichen aus Überlingen, aber natürlich auch die Internatsschüler aus Schloss Salem verkehren.
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