Butterbrot
zu kommen« - »es sind jetzt ungefähr zwei Stunden seit unserer Ankunft vergangen -ja.«
»Hast du Lust, jetzt einmal in unser Hotel zu gehen?« fragte sie und hatte dabei überhaupt keine Eile in der Stimme.
»Ja - gehen wäre jetzt vielleicht ganz gut.«
Sie winkte einen Venezianer an unseren Tisch und lud mich auf die vier Cafe-Latte, fünf Vanillekrapfen, drei Mineralwasser und zwanzig Zahnstocher ein, die ich in den letzten zwei Stunden niedergemacht hatte. Dann standen wir auf und gingen vor den Bahnhof.
Wir hatten keine Lust, uns zu beeilen, ließen die Boote rechts liegen und wanderten über die erste große Brücke in die Stadt hinein.
Wir gingen schweigend nebeneinander und ließen unsere Blicke überall hängen, wo eine kleine Schlinge aus unserem Weg hervorragte.
Die schmiedeeisernen Gitter, hinter denen eng an die rötlichen Wände gedrückter Oleander wucherte und mit rosafarbenen Blüten Werbung für sich machte. Die abgegriffenen Messingkugel-Türgriffe der hellen Holztüren, die in die Häuser auf unserem Weg führten, und aus denen es nach Kindern, Sportschau, Pasta und Mamas dröhnte.
Die steinernen Löwenköpfe, denen jeder Idiot so wie ich eins auf die Schnauze hauen muß. Und die kleinen Bars, die immer dichter wurden, je mehr wir uns der Taubenzuchtanstalt näherten.
Wir wanderten langsam über den Markusplatz und beschlossen, uns erst viel später im Café Florian über die Musik zu mokieren, die uns schon aus der Ferne »Moon River« in die Ohren preßte.
Wir seufzten gleichzeitig, als wir an der dazu passenden Brücke beim Dogenpalast vorbeikamen und setzten unseren Weg an der Meerespromenade Richtung Hotel fort.
»Via Garibaldi.«
Vier bis fünf Brücken weiter - am Kai - ein italienisches Kriegsschiff mit der Nummer 437 auf dem grauen Bug - Lampenketten über die Straße gespannt und irgendwie daheim und doch nicht zu Hause. Diese Straße ist breiter und kürzer und doch größer als die anderen - ich glaube, es ist ein ehemaliger, zugepflasterter Kanal, den sich einige der Bewohner vor hundert oder zweihundert Jahren zu einem Dorfplatz umbauen wollten, ich muß sagen, es ist ihnen gelungen. Einerseits glaubt man, noch das Gurren der Touristenattraktionen zu hören - andererseits ist man wie auf dem Lande.
»Ein Refugium in einer Stadt, die als Refugium begonnen hat«, dachte ich und war von meinem Historiensinn ganz ergriffen -
Gott sei Dank lag schon linker Hand unsere Pension, und ich mußte mich bei den beiden alten Damen, die den Schlüssel unter Verwahrung haben, um unser Zimmer kümmern, sonst hätte ich noch begonnen, sentimentalen Blödsinn zu reden.
Sätze wie: »Hast du >Amarcord< gesehen?« sind ja gerade noch erträglich - aber wenn es auf das Niveau von »Ach, herrlich - Italien!!« rutscht, ist es aus. Diese Klippe konnte ich also umschiffen, obwohl ich Lust hatte zu sagen: »Ist das hier nicht Fellini?« Solche Bemerkungen können mehr zerstören als eine Notlüge, darum sollte man sie auch wirklich erst nach ein bis zwei kleinen Grappa oder nach einer heißen Dusche von sich geben.
Wir nahmen unseren Schlüssel, stiegen die Treppe in den ersten Stock in das einzige große Zimmer mit Balkon und Blick auf das Kriegsschiff.
Ich warf meine Reisetasche in die Ecke, drückte die grünen Holzbalkenläden auseinander und seufzte tief auf-
»Herrlich - was - das ist Italien!« sagte sie und fiel rücklings aufs Bett.
»Ja - Fellini ...«, antwortete ich und schmiß mich daneben.
»Gibt es irgendeinen Grund, dieses Zimmer innerhalb der nächsten eineinhalb Stunden zu verlassen?« fragte sie, und ich konnte nur verneinen.
»Gut«, flüsterte sie - »dann laß uns doch ein wenig rasten und schweigen.«
Wir lagen nebeneinander und atmeten ruhig und erleichtert - nichts mußte geschehen - nichts mußte erledigt werden - niemand mußte dem anderen Energie Vorspielen, wo doch glückliches Faulsein genügte.
Die Sonne zog quer über die Decke einen hellen Streifen und versuchte, ihre Hitze in den kühlen Frieden unseres Zimmers zu schneiden. Auf der Straße liefen ein paar Kinder einer leeren Bierdose hinterher, und noch weiter weg brummelten die Motoren des schläfrigen Kriegsschiffes vor sich hin, fast war es schon Zeffirelli.
Als ich nach zwei Minuten aus einer süßen Ohnmacht erwachte und die Augen wieder aufschlug, war der Sonnenzeiger am Plafond zwei Stunden weitergerückt, und aus dem Badezimmer klang das Rauschen einer italienischen
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