Byrne & Balzano 1: Crucifix
und dann folgte das ganze Programm.«
»Ich habe gehört, du bist …« Jessica fiel es nicht leicht, das Wort auszusprechen.
»Ertrunken?«
»Ja. Stimmt das?«
»Wurde mir gesagt.«
»Wow. Wie lange warst du, hm … ?«
Byrne lachte. »Tot?«
»Tut mir Leid«, sagte Jessica. »Aber diese Frage habe ich noch nie jemandem gestellt.«
»Sechzig Sekunden«, erwiderte Byrne.
»Wow.«
Byrne spähte zu Jessica hinüber. Ihr war anzusehen, dass seine Antworten ihre Neugier nicht gänzlich befriedigt hatten.
Byrne lächelte und fragte: »Du willst wissen, ob ich ein strahlendes weißes Licht gesehen habe und Engel und goldene Trompeten und Roma Downey, die über mich hinwegschwebte, stimmt’s?«
Jessica lachte. »Ich glaub schon.«
»Nein, es gab keine Roma Downey. Aber ich habe einen langen Gang mit einer Tür am Ende gesehen. Ich wusste genau, dass ich die Tür nicht öffnen durfte. Wenn ich die Tür öffnete, würde ich nicht zurückkehren.«
»Das wusstest du?«
»Ja. Und lange Zeit, nachdem sie mich zurückgeholt hatten, verspürte ich jedes Mal, wenn ich an einen Tatort kam, vor allem an den Tatort eines Mordes, ein … Gefühl An dem Tag, als wir Deirdre Pettigrews Leichnam gefunden hatten, fuhr ich anschließend zurück in den Fairmount Park. Ich berührte die Bank vor den Sträuchern, wo wir das Mädchen entdeckt hatten. Da sah ich Pratt. Ich kannte seinen Namen nicht, und ich konnte sein Gesicht nicht deutlich sehen, aber ich wusste, dass er es war. Ich sah, wie sie ihn gesehen hatte.«
»Du hast ihn gesehen ?«
»Nicht mit den Augen. Ich wusste es einfach.« Es schien nicht leicht für ihn zu sein, darüber zu sprechen. »Eine lange Zeit geschah eine Menge«, fuhr Byrne fort. »Es gab keine Erklärungen. Keine Vorhersagen. Ich habe viele Dinge getan, die ich nicht hätte ausprobieren sollen … mit denen ich hätte aufhören sollen.«
»Wie lange warst du nicht im Dienst?«
»Fast zehn Monate. Mehrere Rehabilitationsmaßnahmen. Dort habe ich auch meine Frau kennen gelernt.«
»Sie war Physiotherapeutin?«
»Nein, nein. Sie erholte sich von einem Riss der Achillessehne. Wir kannten uns flüchtig von früher, aber in der Reha-Klinik kamen wir uns näher. Wir humpelten zusammen die Gänge rauf und runter. Ich würde sagen, es war Liebe auf die erste Schmerztablette, wenn es nicht ein so schlechter Scherz wäre.«
Jessica lachte dennoch. »Hast du mal eine Psychotherapie gemacht?«
»Klar. Ich war zwei Jahre beim Polizeipsychologen. Unter anderem habe ich es auch mit Traumanalysen versucht. Ich bin sogar zu ein paar Treffen der Internationalen Vereinigung für todesnahe Erfahrungen gegangen.«
Jessica bemühte sich, das alles zu begreifen. Mit dem Thema hatte sie sich nie zuvor beschäftigt. »Und wie ist es jetzt?«
»Heutzutage passiert es nicht mehr so oft. Es ist wie ein fernes TV-Signal. Morris Blanchard ist der Beweis, dass ich mich nicht mehr auf dieses … Gefühl verlassen kann.«
Jessica spürte, dass noch mehr dahintersteckte, doch sie hatte das Gefühl, Byrne mit ihren Fragen genug bedrängt zu haben.
»Und um deine nächste Frage zu beantworten«, fuhr Byrne fort. »Ich kann keine Gedanken lesen. Ich kann nicht aus der Hand lesen, die Zukunft nicht vorhersagen und nicht mit Toten sprechen. Glaub mir, wenn ich die Zukunft vorhersagen könnte, wäre ich jetzt im Philadelphia Park.«
Jessica lachte wieder. Sie war froh, dass sie Byrne gefragt hatte, fühlte sich aber noch immer ein wenig benommen. Geschichten über Hellseherei und ähnliche Dinge hatten ihr stets einen Schrecken eingejagt. Als sie Shining gelesen hatte, konnte sie eine Woche lang nicht ohne Licht einschlafen.
Sie wollte gerade ein neues Thema anschneiden, als Ike Buchanan durch die Tür des Labors stürmte. Sein Gesicht war gerötet, und die Adern an seinem Hals traten hervor.
»Wir haben ihn«, sagte Buchanan und winkte mit einem Computerausdruck.
Byrne und Jessica sprangen auf.
»Wer ist es?«, fragte Byrne.
»Der Kerl heißt Wilhelm Kreuz«, sagte Buchanan.
58.
Donnerstag, 11.25 Uhr
L aut Einwohnermeldeamt war Wilhelm Kreuz in der Kensington Avenue gemeldet. Er arbeitete als Parkplatzwächter in Nord-Philadelphia. Die Sondereinsatztruppe fuhr in zwei Pkws zum Wohnort der Zielperson. Vier Mitglieder der SWAT-Spezialeinheit fuhren in einem schwarzen Van. Vier der sechs Detectives der SoKo folgten in einem Streifenwagen: Byrne, Jessica, John Shepherd und Eric Chavez.
Ein paar
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