Byrne & Balzano 1: Crucifix
mir nichts ein.«
»Ich habe mir die Seite 716 der kommentierten Oxford-Bibel angesehen«, sagte Jessica. »Die Seite befand sich in der Mitte des Buches der Psalmen. Ich habe mir die Stelle durchgelesen, ohne auf Hinweise gestoßen zu sein.«
Vater Corrio nickte schweigend. Auch er schien hier keine Zusammenhänge zu sehen.
»Könnte es sich um eine Jahreszahl handeln? Hat das Jahr siebenhundertsechzehn in der Kirche eine Bedeutung?«, fragte Jessica.
Vater Corrio lächelte. »Englisch war mein Nebenfach, Jessica«, sagte er. »Ich fürchte, Geschichte war nicht gerade meine Stärke. Ich weiß zwar, dass das erste Vatikanische Konzil 1869 einberufen wurde, aber sonst kann ich mir kaum Daten merken.«
Jessica überflog die Notizen, die sie sich gestern Nacht gemacht hatte. Allmählich gingen ihr die Ideen aus.
»Habt ihr zufällig ein Skapulier bei dem Mädchen gefunden?«, fragte Vater Corrio.
Byrne schaute sich seine Notizen an. Ein Skapulier war ein kleiner Überwurf über Brust und Rücken, dessen beide Teile durch zwei Schnüre oder Bänder zusammengehalten wurden. Skapuliere wurden oft zusammen mit einem Rosenkranz, einer Anstecknadel mit einem Kelch und einer Hostie sowie einem Satintäschchen zur ersten Kommunion verschenkt.
»Ja«, sagte Byrne. »Um ihren Hals war ein Skapulier geschlungen, als wir sie gefunden haben.«
»Ein braunes Skapulier?«
Byrne schaute auf seine Notizen. »Ja.«
»Das sollten Sie sich mal genauer ansehen«, sagte Vater Corrio.
Skapuliere wurden häufig in Plastik eingeschlagen, um sie zu schonen. Das war auch bei dem Skapulier der Fall, das sie bei Bethany Price gefunden hatten. Ihr Skapulier war bereits nach Fingerabdrücken untersucht worden. Man hatte keine gefunden. »Warum, Vater?«
»Jedes Jahr findet ein Fest des Skapuliers statt, ein Tag, der unserer Jungfrau vom Berg Karmel gewidmet ist. Es ist der Gedenktag, an dem die Jungfrau dem heiligen Simon Stock erschien und ihm das Skapulier eines Mönchs schenkte. Sie sagte ihm, dass derjenige, der es tragen wird, kein ewiges Feuer zu fürchten habe.«
»Ich verstehe nicht«, sagte Byrne. »Warum ist das relevant?«
»Das Fest des Skapuliers wird am 16. Juli gefeiert«, erklärte Vater Corrio ihnen.
Das Skapulier, das bei Bethany Price gefunden wurde, war in der Tat braun und unserer Jungfrau vom Berg Karmel gewidmet. Byrne rief im Labor an und fragte, ob sie die Schutzhülle entfernt hatten. Hatten sie nicht.
Byrne und Jessica fuhren sofort zurück zum Roundhouse.
»Du weißt, dass wir diesen Kerl möglicherweise nicht schnappen werden«, sagte Byrne. »Er könnte sein fünftes Opfer töten und dann für immer von der Bildfläche verschwinden.«
Dieser Gedanke war Jessica auch schon gekommen, doch sie hatte versucht, ihn zu verdrängen. »Glaubst du wirklich?«
»Ich hoffe nicht«, erwiderte Byrne. »Aber ich bin schon eine Weile dabei. Ich wollte dir nur sagen, dass es möglich wäre.«
Diese Möglichkeit gefiel Jessica ganz und gar nicht. Wenn sie diesen Irren nicht schnappten, würde das ihren Job bei der Mordkommission und in jeder anderen Abteilung der Polizei nachhaltig beeinflussen. Jessica wusste, dass sie jeden anderen Fall an dieser Niederlage messen würde.
Ehe sie etwas erwidern konnte, klingelte Byrnes Handy. Er meldete sich. Sekunden später klappte er das Handy zu und riss das Blaulicht vom Rücksitz, stellte es aufs Dach und schaltete es ein.
»Was ist los?«, fragte Jessica.
»Das Labor hat den Schutzbezug entfernt und das Skapulier untersucht«, sagte Byrne. Er trat das Gaspedal durch. »Wir haben einen Fingerabdruck.«
Sie warteten auf der Bank vor dem Labor.
Zum Job der Polizeibeamten gehört es, häufige Wartezeiten in Kauf zu nehmen. Wenn sie eine Beschattung durchführen; wenn sie auf eine Urteilsverkündung warten. Die endlose Warterei, wenn man um neun Uhr morgens einen Saal des Amtsgerichts betritt, um in einem läppischen Prozess wegen eines Verkehrsdelikts eine Aussage zu machen, damit man dann endlich um drei Uhr für zwei Minuten in den Zeugenstand gerufen wird, gerade rechtzeitig, um seinen Dienst um vier Uhr antreten zu können.
Das Warten auf die Ergebnisse eines Fingerabdrucks gehörte da noch zu den geringeren Übeln. Es gab einen Beweis, doch je länger das Warten dauerte, desto unwahrscheinlicher wurde es, dass ein brauchbarer Fingerabdruck sichergestellt werden konnte.
Byrne und Jessica richteten sich auf eine längere Wartezeit ein. Es gab vieles, das sie
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