Byrne & Balzano 1: Crucifix
glaube, es wurde wieder ein Mädchen gefunden.«
»Noch ein Mädchen?«
»Ein weiteres Opfer des … Rosenkranz-Psychopathen.«
Vor Entsetzen schlage ich die Hände vor den Mund. »Wirklich? Hier?«
Sie nicken mit ernsten Mienen, größtenteils aus einem selbstgefälligen Gefühl des Stolzes heraus, dass sie es waren, die mir die Neuigkeit mitgeteilt haben. Dieses Ehepaar gehört zu den Leuten, die sich Entertainment Tonight anschauen und sofort zum Hörer greifen, um ihren Freunden als Erste von der Toten des Tages zu erzählen.
»Ich hoffe, sie schnappen den Kerl«, sage ich.
»Ich glaube nicht«, sagt die Frau. Sie trägt eine teure weiße Strickjacke und hält einen teuren Schirm in der Hand. Sie hat die winzigsten Zähne, die ich je gesehen habe.
»Warum sagen Sie das?«, frage ich.
»Mal unter uns …«, vertraut sie mir an, »die Polizisten sind nicht immer die Cleversten.«
Ich schaue auf die leicht erschlaffte Haut ihres Halses. Weiß sie, dass ich binnen eines Augenblicks die Arme ausstrecken, ihr Gesicht mit den Händen packen und ihr das Genick brechen könnte?
Ich hätte Lust dazu. Wirklich.
Arrogante, selbstgerechte Schlampe.
Ich sollte es tun. Aber ich werde es nicht tun.
Mich rufen andere Pflichten.
Vielleicht folge ich dem Ehepaar nach Hause und statte den beiden einen Besuch ab, wenn das alles hier vorbei ist.
40.
Dienstag, 22.30 Uhr
D er Tatort war in beide Richtungen fünfzig Meter weit abgesperrt. Die Fahrzeuge auf dem Benjamin Franklin Parkway wurden über eine einzige Spur geschleust. Zwei uniformierte Beamte regelten den Verkehr.
Byrne und Jessica beobachteten Tony Park und John Shepherd, die den Leuten von der Spurensuche Anweisungen erteilten. Sie waren die ermittelnden Detectives dieses Falles, obwohl feststand, dass dieser neue Mordfall bald in den Zuständigkeitsbereich der SoKo fallen würde. Jessica lehnte sich gegen einen der Streifenwagen und versuchte, sich ein Bild von diesem Albtraum zu machen. Sie spähte zu Byrne hinüber. Er war vollkommen in Gedanken versunken.
In diesem Augenblick löste sich ein Mann aus der Menge. Jessica sah aus den Augenwinkeln, dass er auf sie zukam. Ehe sie reagieren konnte, stand er schon neben ihr.
Es war Patrick Farrell.
»Hi«, sagte er.
Im ersten Augenblick war seine Anwesenheit an diesem Tatort so unerwartet, dass Jessica dachte, es handele sich um einen Mann, der Patrick ähnelte . Es war einer jener Augenblicke, da ein Mensch, der zu einem Teil unseres Lebens gehört, in einen anderen Teil unseres Lebens wechselt und die Welt plötzlich ein wenig aus dem Gleichgewicht gerät.
»Hi«, erwiderte Jessica in einem Tonfall, der sie selbst überraschte. »Was machst du denn hier?«
Byrne, der nur wenige Meter entfernt stand, schaute Jessica besorgt an, als wollte er sagen: Alles okay? In Anbetracht der Situation waren sie alle gereizt und Fremden gegenüber weniger vertrauensvoll.
»Patrick Farrell, das ist mein Partner, Kevin Byrne«, sagte Jessica ein wenig steif
Die beiden Männer schüttelten sich die Hand. Einen Moment löste ihre Begegnung ein gewisses Unbehagen bei Jessica aus, obwohl sie nicht wusste, was der Grund dafür war. Doch dieses Gefühl wurde durch ein kurzes Aufflackern in Byrnes Augen noch verstärkt; es war ein flüchtiges Gefühl der Befangenheit, das jedoch sofort wieder schwand.
»Ich war unterwegs zu meiner Schwester in Manayunk. Da sah ich die Blaulichter und habe angehalten«, sagte Patrick. »Ein Pawlow’scher Reflex, fürchte ich.«
»Patrick ist Notarzt im St. Joseph’s«, sagte Jessica zu Byrne.
Byrne nickte mit verständnisvollem Blick. Vielleicht dachte er daran, mit welchen Schwierigkeiten ein Arzt in einer Notaufnahme zu kämpfen hatte. Vielleicht dachte er auch an die Gemeinsamkeiten der beiden Jobs – zwei Männer, deren tägliche Aufgabe es war, die blutigen Wunden der Stadt zu verbinden.
»Seit ich vor ein paar Jahren einen Luftröhrenschnitt bei einem Unfallopfer vorgenommen habe, bevor der Notarzt kam, halte ich bei jedem Streifenwagen mit Blaulicht und schaue nach, ob ich helfen kann.«
Byrne senkte die Stimme. »Wenn wir diesen Kerl schnappen, Doktor, und wenn er bei der Verhaftung zufällig ernsthaft verletzt werden sollte, und wenn er dann zufällig in Ihrer Notaufnahme landet, dann lassen Sie sich Zeit, ihn wieder zusammenzuflicken, okay?«
Patrick lächelte. »Kein Problem.«
Buchanan trat zu ihnen. Er sah aus, als trüge er eine
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