Byrne & Balzano 1: Crucifix
zentnerschwere Last auf den Schultern. »Geht nach Hause«, sagte er zu Jessica und Byrne. »Ich will euch bis Donnerstag nicht mehr sehen.«
Die beiden Detectives widersprachen nicht.
Byrne hielt sein Handy hoch und sagte zu Jessica: »Tut mir Leid. Ich hatte es ausgeschaltet. Kommt nicht wieder vor.«
»Kein Problem«, entgegnete Jessica.
»Wenn du reden willst, ruf mich an. Jederzeit.«
»Danke.«
Byrne wandte sich Patrick zu. »Freut mich, Sie kennen gelernt zu haben, Doktor.«
»Ganz meinerseits.«
Byrne drehte sich um, duckte sich unter dem gelben Absperrband hindurch und ging zu seinem Wagen.
»Ich bleibe noch eine Zeit lang in der Nähe, falls noch jemand gebraucht wird«, sagte Jessica zu Patrick.
Patrick schaute auf die Uhr. »Gut. Ich fahre jetzt zu meiner Schwester.«
Jessica strich über seinen Arm. »Ruf mich später an. Ich bleib nicht lange hier.«
»Sicher?«
Ganz und gar nicht , dachte Jessica.
»Hundertprozentig.«
Patrick hielt eine Flasche Merlot in einer Hand, eine Schachtel Schokoladentrüffel in der anderen.
»Keine Blumen?«, fragte Jessica mit einem Augenzwinkern. Sie öffnete die Haustür und ließ Patrick ein.
Er lächelte. »Ich hab’s nicht geschafft, über den Zaun in den Garten deines Nachbarn zu steigen«, sagte er.
Jessica nahm ihm den nassen Regenmantel ab. In seinem schwarzen, vom Wind zerzausten Haar glitzerten Regentropfen. Doch auch Wind und Regen konnten Patricks attraktiver Ausstrahlung nichts anhaben.
»Wie geht es deiner Schwester?«, fragte sie.
Claudia Farrell Spencer war Herzchirurgin und übte somit den Beruf aus, den der Vater für seinen Sohn angestrebt hatte. So war Martin Farrells Ehrgeiz doch noch befriedigt worden.
»Schwanger und zickig wie ein rosa Pudel«, sagte Patrick.
»In welchem Monat ist sie?«
»Nach ihrem Reden müsste sie im dritten Jahr sein«, entgegnete Patrick. »In Wahrheit ist sie im achten Monat. Sie ist aufgegangen wie ein Hefekloß.«
»Ich hoffe, du hast es ihr gesagt. Schwangere Frauen stehen auf solche Komplimente.«
Patrick lachte. Jessica nahm den Wein und die Pralinen entgegen und legte beides auf den Tisch in der Eingangshalle. »Ich hole uns Gläser.«
Als sie sich zum Gehen wandte, ergriff Patrick ihre Hand. Jessica drehte sich um und schaute ihm ins Gesicht. Sie standen sich in dem kleinen Korridor gegenüber, eine Vergangenheit zwischen ihnen, eine Gegenwart in der Schwebe, ein Moment, der sich vor ihnen dehnte.
»Vorsicht, Doc«, sagte Jessica. »Ich hab eine knallharte Rechte.«
Patrick lächelte.
Jemand muss etwas tun , dachte Jessica.
Patrick handelte.
Er schlang die Hände um Jessicas Hüfte und zog sie an sich. Ein fester Griff, doch ohne Zudringlichkeit.
Der Kuss war innig, sinnlich, genüsslich. Zuerst konnte Jessica kaum glauben, dass sie in diesem Haus einen anderen als ihren Ehemann küsste. Doch sie ließ sich von dem Gedanken nicht beirren, denn Vincent hatte ja nicht einmal Skrupel gehabt, Michelle Brown in ihrem Haus zu vögeln.
Es gab keinen Grund, sich die Frage zu stellen, ob es richtig oder falsch war.
Es fühlte sich richtig an.
Als Patrick sie zur Couch im Wohnzimmer führte, fühlte es sich noch besser an.
41.
Mittwoch, 1.40 Uhr
M it dem Ocho Rios, einer kleinen Reggae-Bar in Northern Liberties, ging es bergab. Die Musik des DJ erklang leise im Hintergrund. Nur wenige Paare bewegten sich auf der Tanzfläche.
Byrne durchquerte den Raum und sprach einen Kellner an, der durch eine Tür hinter der Theke verschwand. Kurz darauf trat ein Mann durch den Perlenvorhang. Als er Byrne erkannte, erhellte sich seine Miene.
Gauntlett Merriman war Anfang vierzig und hatte mit der Champagne Posse in den Achtzigern einen Höhenflug erlebt. Damals besaß er gleichzeitig ein Reihenhaus in Society Hill und ein Ferienhaus am Strand von Jersey. Gauntlett war mit seinen langen Dreadlocks, die schon mit zwanzig von grauen Strähnen durchzogen waren, bekannt wie ein bunter Hund. Nicht nur in der Szene, auch im Roundhouse kannte ihn jeder.
Byrne erinnerte sich, dass Gauntlett einst einen pfirsichfarbenen Jaguar XJS, einen pfirsichfarbenen Mercedes 380 SE und einen pfirsichfarbenen BMW 635CSi besessen hatte – alle zugleich. Er hatte die Wagen vor seinem Haus am Delancey Place geparkt, mit glänzenden Radkappen aus Chrom und eigens angefertigten goldenen Verzierungen in Form eines Marihuanablattes auf den Motorhauben, alles nur, um die Weißen wütend zu machen.
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