Byrne & Balzano 3: Lunatic
offiziell nicht mit den beiden Morden in Zusammenhang, in denen sie ermittelten.
»Kommt mal her, Leute«, rief Josh Bontrager.
Campos, Lauria, Jessica und Byrne stiegen die Böschung zum Fluss hinunter. Bontrager stand etwa fünf Meter von der Leiche entfernt, ein Stück flussaufwärts.
»Seht mal.« Bontrager zeigte auf mehrere niedrige Sträucher, hinter denen etwas auf dem Boden lag, das in dieser Umgebung völlig fehl am Platze war. Jessica ging näher heran, um sich davon zu überzeugen, dass es tatsächlich das war, was sie zu sehen glaubte. Es war eine Seerose. Eine rote Plastikseerose, die im Schnee steckte. Und an den Stamm eines Baumes in ummittelbarer Nähe war ungefähr einen Meter über dem Boden ein weißer Mond gezeichnet.
Jessica schoss ein paar Fotos. Dann trat sie zurück, damit die Kriminaltechniker den gesamten Tatort dokumentieren konnten. Manchmal war der Kontext, in dem ein Beweisstück aufgefunden wurde, genauso wichtig wie das Beweisstück selbst. Das Wo hatte manchmal eine größere Bedeutung als das Was.
Eine Seerose.
Jessica warf Byrne einen Blick zu. Die rote Blume schien ihn zu fesseln. Dann schaute Jessica auf die tote Frau. Sie war so klein, dass man sie leicht für ein Kind halten konnte. Jessica sah, dass das Kleid des Opfers zu groß und ungleichmäßig umgesäumt war. Die Arme und Beine der Frau waren unversehrt. Keine sichtbaren Amputationen. Ihre Hände waren geöffnet. Sie hielt keinen Vogel fest.
»Könnte das euer Täter gewesen sein?«, fragte Campos.
»Ja«, sagte Byrne.
»Dieselbe Mordmethode mit dem Gürtel?«
Byrne nickte.
»Willst du den Fall übernehmen?«, fragte Campos lächelnd, denn die Frage war nicht ganz ernst gemeint.
Byrne antwortete nicht. Diese Entscheidung hatte nicht er zu treffen. Möglicherweise wurde nun eine größere Sondereinheit gebildet, zu der auch das FBI und andere Bundesbehörden hinzugezogen wurden, um in den Frauenmorden zu ermitteln. Ein Psychopath lief Amok, und diese Frau könnte sein erstes Opfer gewesen sein. Aus irgendeinem Grund war der Killer von Kleidern aus vergangenen Zeiten besessen – und vom Schuylkill River. Und sie hatten nicht die leiseste Ahnung, wer der Killer war oder wo er das nächste Mal zuschlagen würde. Oder ob er es bereits getan hatte. Zwischen diesem Tatort und dem in Manayunk könnten zehn weitere Opfer liegen.
»Dieser Killer wird nicht aufhören, bis er seinen Plan vollendet hat, nicht wahr?«, sagte Byrne.
»Sieht ganz so aus«, meinte Campos.
»Der Fluss ist hundert Meilen lang.«
»Hundertachtundzwanzig Meilen.«
Meine Güte, dachte Jessica. Der größte Teil des Flusses war von Straßen und Schnellstraßen aus nicht zu sehen und von Bäumen und Sträuchern gesäumt – ein Fluss, der durch fast ein halbes Dutzend Bezirke bis in den Südosten von Pennsylvania strömte.
Ihr Killer konnte sich auf einer Strecke von hundertachtundzwanzig Meilen austoben.
56.
E s war ihre dritte Zigarette an diesem Tag. Drei war nicht schlecht. Drei war fast so, als würde sie gar nicht rauchen. Früher hatte sie zwei Schachteln am Tag geraucht. Drei Zigaretten war so, als hätte sie bereits aufgehört. Fast.
Wem wollte sie eigentlich etwas vormachen? Sie wusste, dass sie niemals ganz aufhören würde, ehe ihr Leben nicht in geordneten Bahnen verlief. Vielleicht irgendwann, wenn sie siebzig war.
Sa’mantha Fanning öffnete den Hintereingang und spähte in den Laden. Leer. Sie lauschte. Der kleine Jamie war ruhig. Sie schloss die Tür und zog den Mantel straff um ihren Körper. Puh, war das kalt. Sie hasste es, draußen rauchen zu müssen, aber zumindest war sie nicht eine dieser blöden Tussen, die man in der Broad Street sah und die vor den Häusern standen, sich gegen eine Mauer lehnten und an ihrer Kippe nuckelten. Das war der Grund, warum sie nie direkt vor dem Geschäft rauchte, obwohl es dann einfacher gewesen wäre, ein Auge auf alles zu halten. Sie wollte nicht wie eine Kriminelle aussehen. Aber hier draußen war es fast so kalt wie in einem Kühlschrank.
Sa’mantha dachte an ihre Pläne für Silvester oder vielmehr daran, dass sie noch gar keine Pläne hatte. Sie würde mit Jamie allein sein – und vielleicht mit einer Flasche Wein. Das war das Leben einer allein erziehenden Mutter. Einer allein erziehenden Mutter, die pleite war. Einer allein erziehenden Mutter, die pleite war, nur stundenweise arbeitete und deren Ex-Freund und Vater ihres Kindes ein fauler Mistkerl war, der ihr noch keinen
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