C14-Crash
Glaub-
würdigkeit angesiedelte Idee« [Taylor 1987, 152] überhaupt weiterverfolgt wer-
den sollte. Das Wichtigste war zweifellos, die tatsächliche Radioaktivität von
Kohlenstoff in Lebewesen zu messen, oder nach dem damals äußerst unvoll-
kommenen Stand der Technik treffender: tatsächlich messen zu können.
Wenn das erstmal möglich war, dann bestand die vordringlichste Untersu-
chung im Vergleich der Radioaktivität möglichst vieler unterschiedlicher mo-
derner organischer Proben. Zu berücksichtigen waren Unterschiede in der
geographischen Herkunft, aber auch Unterschiede im Stoffwechsel. Erst wenn
sich die Kohlenstoffradioaktivitäten moderner, gleichaltriger Proben aus un-
terschiedlichen Gegenden der Erde als gleich erwiesen, dann konnte auch die
Radioaktivität historischer Proben sinnvoll interpretiert werden.
Die übereinstimmende Kohlenstoffradioaktivität bei modernen Proben
würde beweisen, daß sich das in den oberen Atmosphärenschichten produ-
zierte C14 zumindest heutzutage gleichförmig über die Erde in alle Kohlen-
stoffreservoire verteilt. Als nächsten Schritt mußte dann gezeigt werden, daß
archäologische Proben generell diejenige Restaktivität aufweisen, die sich aus
der radioaktiv bedingten Abnahme moderner Kohlenstoffradioaktivität in der
Zeit ergeben würde, die ihnen von der Altertumswissenschaft als Absolutalter
zugemessen wurde. Erst dann konnte von einer örtlich und zeitlich homoge-
nen Kohlenstoffradioaktivität gesprochen werden und aus der Messung der
Kohlenstoffradioaktivität einer beliebigen Probe ihr Absolutalter bestimmt
werden.
Bevor man sich überhaupt Proben aus den Magazin- und Ausstellungsräu-
men der Altertumswissenschaft widmen konnte, mußte natürlich die Halb-
wertszeit des C14 genau genug bekannt sein. Erst dann konnte ein
»C14-Alter« errechnet und mit dem bekannten historischen Alter verglichen
werden. Libby hatte 1946 in einem Artikel in der Physical Review betont, daß
6. Die Entdeckung und Entwicklung der C14-Methode
223
erst eine Halbwertszeit länger als 1.000 Jahre für eine ausreichend homogene
6.5 Die C14-Me-
thode ist als »ver-
Durchmischung der irdischen Kohlenstoffreservoire – in den Tiefen des Oze-
rückte Idee« gebo-
ren und verwirk-
ans wie in der untersten Schicht des für das Biotop bedeutsamen Humus –
licht worden, ohne
daß ursprünglich
eine reale Chance
sorgen könnte. Waren die Probleme »Bestimmung der Halbwertszeit« und
gesehen wurde,
sie einmal prak-
»Bestimmung der Streuung der modernen C14-Konzentration« erst einmal
tisch anwenden zu
können.
gelöst, dann konnte man sich endlich Artefakten zuwenden, für die bereits ein
exaktes Absolutdatum vorlag. Und die alles entscheidende Frage lautete
dann: entsprach das aus der Radioaktivität des Kohlenstoffs der alten Probe
unter der Annahme allzeit konstanter C14-Konzentration errechnete Alter
dem bekannten historischen Alter?
6.4 Chicagoer Lehrjahre
Seit 1946 war bekannt, daß die Halbwertszeit des radioaktiven Kohlenstoff-
isotops C14 bei etwa 5.000 Jahren liegen muß. Auf der Basis dieses Wertes
ergibt sich für jedes Prozent an Meßfehler ein Datierungsfehler von rund 80
Jahren (vergleiche Textbox 7.7 ). Daß Libby ob solcher Zahlenverhältnisse
und angesichts der allgemein völlig unzureichenden Meßtechnik nicht den
Mut verlor, ist vorderhand kaum nachzuvollziehen.
1965 machte Libby eine Bemerkung zu den Motiven, sich dieser Sisy-
phusarbeit dennoch hinzugeben und den Trick herauszuarbeiten, wie eine
Stecknadel im Heuhaufen stets mit Sicherheit gefunden werden könne. Die
C14-Methode, so Libby, wäre einer Sehnsucht entsprungen, der Realität zu
entfliehen, was mit den Mühen der Wissenschaftler um die Entstehung der
Atombombe zu tun gehabt hätte. »Es ging um das Verlangen, etwas
Nutzloses, etwas Unpraktisches zu entdecken, etwas, das wohl interessant,
letztlich aber unbedeutend sein sollte«. Bei allem Stolz angesichts der er-
reichten Ergebnisse solle man sich daran erinnern, daß sie tatsächlich ohne
Gedanken an ihre Praktikabilität oder ihre Nützlichkeit entwickelt worden sei
[Libby 1965, 745].
Es gab keinerlei Instrumente, die für den Nachweis der extrem niedrigen
Aktivitätsrate von natürlich inkorporiertem modernem Kohlenstoff – rund 15
Zerfälle pro Gramm Kohlenstoff in einer Minute – konzipiert worden waren.
Zählrohre mit der dafür angemessenen Oberfläche von rund 3.000 cm²
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