Cabo De Gata
Platz. Eine Reihe winziger, zweistöckiger Apartments – ausgestorben.
Nach vielleicht dreihundert Metern stoße ich auf die Strandpromenade. Obwohl der Wind in tückischen Böen Sand vom Boden aufwirbelt und mir in die Augen wirft, plätschert das Meer nur müde vor sich hin, gleichmäßig grau bis zum Horizont, wo es sich übergangslos mit dem Himmel verbindet.
Langsam schreite ich die Promenade ab. Hunde umkreisen mich, kläffen mich an: Kleine, braun-weiße Köter, die alle hundertprozentig gleich aussehen. Beiläufig offenbart sich mir das Wort Promenadenmischung .
Die Häuser entlang der Promenade sehen nicht anders aus als die im Innern des Orts: pastellfarbene, kubische Bauten, alle in jenem merkwürdigen Stadium zwischen noch ausstehender Vollendung und beginnendem Verfall. Nur eines der drei Restaurants an der Promenade ist geöffnet, das heißt: Das Gitter vor dem Eingang ist nur halb zugeschoben. Die gläserne Tür klappert im Wind.
Ich erinnere mich an einen großen, halbhoch gefliesten Raum (Ornamentmuster, das ich als maurisch bezeichnen würde). Fenster gibt es nur auf der Eingangsseite. In der Tiefe des Raums nimmt das Licht ab. Ich erinnere mich, dass ich die alte Frau, die aus dem dunklen Hintergrund tritt, für so etwas wie die Putzfrau halte. Buenas dias , sagt die Frau, genauer: Buena dia , auch hier fehlt das «s» im Ausklang der Worte. Beim Busfahrer habe ich diese Weglassung auf die fehlenden Schneidezähne zurückgeführt, aber die Frau hat noch alle Schneidezähne – vielleicht muss man sagen: hat sie wieder, denn ihr ebenmäßiges, helles Gebiss passt so gar nicht zu der erdfarbenen, zerklüfteten Gesichtshaut. Auch die riesenhafte Brille passt nicht dazu, so wenig wie das kastanienbraune Haar, das sie in formfesten Wellen auf ihrem Kopf herumträgt.
Ich setze mich an die Bar, bestelle einen Kaffee. Kurz rauscht die Espressomaschine, dann ist wieder nur das Pfeifen des Windes zu hören, das Klappern der Eingangstür. Die Frau schweigt, ich schweige, trinke langsam meinen Kaffee, und wenn ich mir in diesen langen Minuten vorkomme wie eine Filmfigur, so liegt das vielleicht daran, dass ich während der ganzen Szene den Hut aufbehalte.
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II
Der Krebs
1
Wenn ich diese eine Nacht in Cabo de Gata geblieben bin, dann nur, weil die alte Frau mir versicherte, es fahre am Nachmittag kein Bus mehr zurück nach Almería. Ich erinnere mich, wie ich kreuz und quer durch den menschenleeren Ort ging, um nach einem Hotel oder einer Pension zu suchen: Das Wort Geisterstadt ging mir durch den Kopf. Auf den überall klaffenden Brachen streunten Katzen umher. Fast alle Kneipen waren geschlossen, und in der einen, die ich geöffnet vorfand, hockten ein paar Einheimische in einer dunklen Ecke unter herabhängenden Schweineschinken und beäugten mich stumm, als ich den Wirt nach einer Unterkunft fragte.
La viuda , murmelte der Wirt. Zeigte, unwillig, ohne mich anzuschauen, in Richtung Meer, und obwohl ich das Wort nicht verstand (La vida? La buda?), war mir klar, dass er die alte Frau in dem Restaurant an der Promenade meinte.
Ich erinnere mich an etwas wie Besitzerstolz in ihren Gesten und ihrer Stimme, als sie mir den flachen Anbau auf der nördlichen, dem Meer abgewandten Seite des Restaurants zeigte. Sie öffnete das erste Zimmer auf der rechten Seite des Flurs. Es lag zu ebener Erde und war gerade so groß, dass zwei Betten hineinpassten, eines links, eines rechts, dazwischen ein Gang, der in ein kleines, allerdings sauberes, weiß gefliestes Bad führte. Die Alte wollte zweitausend Pesetas die Nacht, eine Zahl, die etwa durch achtzig zu teilen war, wenn man den Gegenwert in Mark haben wollte. Ich erinnere mich, dass die alte Frau mir am späten Nachmittag eine Paella zubereitete, die genauso viel kostete wie das Zimmer.
Ich erinnere mich an die unvermittelt hereinbrechende Dunkelheit und an die gelben Lichter, die entlang der Promenade alle zugleich zu glimmen anfingen.
Ich erinnere mich daran, dass ich in meinem Zimmer lag und hörte, wie irgendwo im Dorf ein paar übrig gebliebene Silvesterknaller gezündet wurden.
Ich erinnere mich an die Kälte, genauer gesagt, erinnere ich mich daran, dass meine Atemluft dampfte; dass ich meinen Pullover anzog und in den Schlafsack kroch; dass ich alle verfügbaren Decken über mich legte; dass ich meine Isomatte zwischen Bettkante und Wand schob, um mich vor der Kältestrahlung der Wände (physikalisch korrekter wäre:
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