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Cabo De Gata

Cabo De Gata

Titel: Cabo De Gata Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eugen Ruge
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Espressomaschine (oder irgendeine andere Maschine) reinigte, standen hinter der Theke. Davor hatten sich mehrere Kellner in schon etwas abgetragenen weinroten Livreen postiert, scherzend und miteinander plaudernd, aber in Reih und Glied, wie vor einer unsichtbaren Startlinie. Die Servietten über den Unterarm geschlagen, schienen sie auf die jeden Augenblick hereinbrechende Kundschaft zu warten.
    Ich stellte meinen Rucksack ab und setzte mich an ein bodentiefes Fenster, durch das ich auf die Plaza blicken konnte.
    Ich weiß nicht mehr, wann ich beschloss, Barcelona noch am selben Tag zu verlassen, sicher ist nur, dass dieser Beschluss schon gefasst war, als ich dort saß, und ich erinnere mich, dass es mich selbst überraschte, wie sehr sich meine Wahrnehmung in Anbetracht dieser Entscheidung gewandelt hatte, und dass mir diese Wandlung nach der üblichen Prüfung beschreibenswert erschien: Dass ich es einfach hinnahm, dass der dicke, glatzköpfige Kellner mir das falsche Croissant brachte; dass ich es, im Gegenteil, beinahe rührend fand, wie er den Teller, nachdem er den großen Milchkaffee abgestellt hatte, mit beiden Händen noch ein Stück zu mir hinschob, als müsste er mich zum Essen ermuntern; dass mich weder das Röcheln der Espressomaschine störte noch die allmählich eintrudelnden Stammkunden, die sich, das Röcheln noch übertönend, mit dem Barmann unterhielten, während sie ihren Kaffee im Stehen herunterkippten; noch nicht einmal die Tatsache, dass der Müllfahrer sein Fahrzeug mit laufendem Motor vor der Tür stehen ließ, sodass mit jedem Eintretenden ein Schwall kalter, mit Dieselabgasen vermischter Morgenluft hereinwehte, brachte mich aus der Fassung.
    Ich verbrachte den ganzen Vormittag in dem Café. Hinter der Plaza stieg die Sonne auf, eine weiße Scheibe hinter Milchglaswolken, die allmählich an Kraft gewann und meine durchfrorenen Glieder wärmte. Um die Kolumbussäule begann der Autoverkehr zu kreisen. Auf dem Gehweg vor dem Fenster stellte ein Kellner klirrende Aluminiumstühle auf, und mehrfach sah ich junge, geschäftig wirkende Frauen dort draußen vorbeitrippeln, die, wie mir auffiel, allesamt hochhackige Schuhe und blickdichte braune Strümpfe trugen; und mir fiel noch etwas auf, nämlich dass allesamt irgendwelche Papiere oder Unterlagen offen im Unterarm trugen, so wie Architekten auf einer Baustelle oder Leute, die Stromzähler ablesen, weshalb ich Spekulationen darüber anstellte, ob aus diesem ostentativen Verzicht auf Akten- oder Collegetaschen auf die Regenwahrscheinlichkeit in der Region zu schließen sei.
    Irgendwann kamen drei oder vier Bauarbeiter, sperrten die andere Straßenseite ab und begannen mit einem Presslufthammer den Asphalt aufzureißen, ein endloser, monotoner Vorgang, und während ich zusah und hörte, wie die alte Stadt sich aufraffte, sich herrichtete, sich mit großem Aufwand bereitmachte für den neuen Tag, musste ich plötzlich an die alte Prostituierte vom Vorabend denken, die sich, so war zu vermuten, ebenfalls für diesen Tag zurechtmachte, sich aufraffte nach einer kalten, auf hohen Absätzen durchstandenen Nacht, sich jetzt, bevor sie im Supermarkt ein kleines Frühstück zusammenkaufte, vor dem Badezimmerspiegel notdürftig in Form und Fassung brachte oder einen Kaffee aufbrühte, wobei sie, so stellte ich mir vor, zur Verkürzung der Siedezeit schon vorgeheiztes Boiler-Wasser benutzte – jedenfalls glaube ich mich zu erinnern, dass ich mir dies vorstellte, womöglich erfinde ich das Bild jedoch neu, denn im Grunde erfindet das Gedächtnis ja alle Erinnerungen immer wieder neu, und möglicherweise ist das Bild von der Prostituierten, die ihren Wasserkocher an einem kleinen, über der Spüle hängenden Boiler befüllt, tatsächlich so etwas wie die Erfindung einer Erfindung, die darauf zurückzuführen ist, dass ich mich mit diesem Absatz schon etwas zu lange beschäftige. Was ich aber tatsächlich noch weiß, um dieses Wort zu riskieren, ist, dass ich ihr an diesem Vormittag im Café einen Titel verlieh, genauer gesagt, ihn ihr nicht verlieh , sondern dass mir auf einmal klar wurde, dass er ihr gehörte, dass sie es war, leibhaftig – Miss Barcelona.
    Dann legte mir der dicke Kellner eine in einen Zeitungsstock geklemmte Zeitung auf den Tisch, irgendein bilderreiches und wortarmes Blatt, das ich in Deutschland kaum eines Blickes gewürdigt hätte, aber die Fürsorglichkeit des Kellners, sein aufmunterndes Nicken, die Tatsache, dass er mich in dem

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