Cabo De Gata
anzublicken – ein Einsiedlerkrebs, der die Muschel bewohnte.
Obwohl mir die Astrologie suspekt war und ich mich sogar maßlos darüber erregen konnte, wenn beispielsweise mein Freund Georg eine Anfälligkeit für solcherart Glauben zeigte, berührte mich der Fund merkwürdig. Ich bin Krebs, was das Sternbild angeht. Und nun hatte ich auf der Suche nach einer Behausung einen Krebs in seiner Behausung gefunden.
Andererseits war der Krebs tot. Offensichtlich hatte es ihn ans Ufer gespült, und anstatt in dieser Lage sein Haus zu verlassen, hatte er ausgeharrt, bis er darin verdorrt war. Hieß das nun Gehen oder Bleiben?
Ich hatte mich Cabo de Gata schon wieder auf ein paar hundert Meter genähert. In der Sonne war es warm geworden, bis zur Abfahrt meines Busses war noch Zeit, und so zog ich meine Lederjacke aus und setzte mich darauf, um ein bisschen – in Richtung Afrika – aufs Meer zu schauen. Hier hatte ich eine weitere kleine Begegnung, die, schwer zu sagen, warum, eine Entscheidung herbeiführte.
Es war eine Schar kleiner Vögel in mein Blickfeld geraten, vermutlich eine Möwenart, ich hatte sie schon vorher auf meinem Spaziergang gesehen und aufgrund ihres Verhaltens hysterische Tanten getauft, denn sie zeigten die merkwürdige Angewohnheit, immerzu die Uferböschung hinauf- und hinabzurennen, immer aufs Neue vor den ankommenden Wellen flüchtend. Ein dummes Volk, dachte ich – bis ich den Vögeln, am Ufer sitzend, eine Weile zuschaute.
In Wirklichkeit waren es ganz erstaunliche Geschöpfe. Keineswegs sinnlos rannten sie am Ufer herum, sie pickten, wie mir bald klar wurde, irgendwelche frisch angespülten Pflanzenreste oder Mikroorganismen vom feuchten Grund der Uferböschung auf. Da sie klein und kurzbeinig waren, blieb ihnen nichts anderes übrig, als vor den immer wieder anschwappenden Wellen zu fliehen. Erstaunlich war nun aber, mit welcher Präzision sie das taten. Ich habe ausprobiert, die Reichweite einer ankommenden Welle abzuschätzen. Es ist keineswegs so, dass die höchsten immer am weitesten kommen. Von anderen Faktoren abgesehen (Uferneigung, Eintreffwinkel und – wie bestimmt man eigentlich in Sekundenbruchteilen die «Stärke» einer Welle?), gibt es noch die zusätzliche Komplikation der Brechungen mit zurückströmenden Wellen, die wiederum jede für sich unberechenbare Verwirbelungen erzeugen. Es ist, kurz gesagt, unmöglich , ihre Reichweite abzuschätzen. Aber die kleinen Vögel können es. Stets laufen sie knapp vor dem Wellensaum her, nie weiter als nötig, aber auch immer weit genug und folgen dann wieder in geringstmöglichem Abstand dem abfließenden Wasser, wobei sie das Kunststück auch noch als Schar vollbringen, alle zugleich, in einer einzigen, hundertprozentig synchronen Bewegung, was, um es kurz zu machen, bedeutet, dass diejenigen, die sich am oberen Rand der Gruppe befinden, nicht nur an sich denken, sondern so weit die Uferböschung hinauftrippeln müssen, dass sich auch der Letzte, am unteren Ende, kein nasses Gefieder holt.
Ich weiß nicht, wie lange ich den hysterischen Tanten zuschaute, vielleicht eine Stunde, vielleicht auch nur zehn Minuten. Jedenfalls erinnere ich mich, dass ich irgendwann aufstand, dass ich, noch in der Bewegung, meine Lederjacke im Halbkreis durch die Luft wirbelte, als wollte ich den Sand abschütteln (was aber nicht der Sinn, allenfalls der Vorwand für diese Bewegung war) – und schrie.
Es war ein kurzer Schrei. Ich weiß nicht mehr, was ich schrie, wenn es ein Wort war, war es eine Obszönität. Aber ich glaube nicht, dass es ein Wort war, es war einfach ein Wutschrei, kein Siegesschrei, kein befreiendes Brüllen, sondern ein kurzer, dreckiger Laut, den ein Außenstehender vielleicht als Reaktion auf einen Insektenstich gedeutet hätte.
2
Eigentlich bin ich ein miserabler Händler. Ich weiß noch, wie ich nach der Trennung von Karolin meinen Golf verkaufte: Innerhalb weniger Minuten hatte mich ein freundlicher junger Mann mit einem blumigen Hemd und pharaonischem Aussehen davon überzeugt, dass er sich ruiniere, wenn er diesen Schrotthaufen von Auto auch nur geschenkt nähme; zum Schluss war ich beinahe froh, dass er mir noch achthundert Mark dafür gab – vermutlich ein Viertel seines Werts.
Dieses Mal jedoch war es anders. Es war eine seltsame Verhandlung, die wir führten: ich, der verzweifelte Fremde, der Sprache nicht mächtig, und sie, die schlaue Analphabetin. Dass sie Analphabetin war, begriff ich, nachdem sie sich mehrmals
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