Cabo De Gata
nicht schon einen Namen hätte, den Ort benennen würde, an dem ich einhundertdreiundzwanzig Tage lang vergeblich versuchte, einen Roman zu schreiben.
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Ich weiß, dass es geschickter wäre, das Buch hiermit enden zu lassen, statt noch im letzten Augenblick, nein, nicht die Tonart, aber die Tierart zu wechseln. Besser wäre es, die Geschichte mit ein paar wohlklingenden und zitierbaren Sentenzen ausklingen zu lassen, tröstlichen Weisheiten über Katzen, über das Leben (etwa, dass man nicht versuchen sollte, den Bauch einer schwangeren Katze zu streicheln – womit Leben und Katzen zu einem sprichworttauglichen Grundsatz verbunden wären). Und vermutlich wäre es klug, das Bild, das meinen Aufenthalt beschließt, aufzubewahren für die nächste Gelegenheit.
Aber ich habe mir vorgenommen, mich beim Aufschreiben dieser Geschichte von dem leiten zu lassen, was ich erinnere, und deshalb soll diese letzte Erinnerung an Cabo de Gata am Ende der Geschichte stehen.
Die Geschichte endet am Samstag danach.
Dass es Samstag war, weiß ich, weil an diesem Tag Fischmarkt war. In den Wintermonaten hatte es keinen Fischmarkt gegeben, jetzt aber strebte das halbe Dorf zum Strand, wo die Fischer ihre frische, zumeist noch lebende Ware direkt aus den orangefarbenen Kisten zum Kauf anboten.
Ich erinnere mich, wie ich zwischen den Booten umherging. Es war noch früh am Morgen, das Licht war grell und warf auf den zertretenen Sandboden harte Schatten. Man feilschte um Mengen und Preise. Fische wurden gewogen, in Plastiktüten verpackt, Geldscheine und Münzen wanderten in alte Blechdosen.
An das alles erinnere ich mich allerdings nur vage und so, als wäre es ohne Ton abgelaufen. Und auch das Bild, das ich deutlich erinnere, ist stumm.
Es zeigt einen kleinen, offenbar nicht verwertbaren Rochen, der unbeachtet in einem der bunten Kähne liegen geblieben war, und zwar in einer kleinen Meerwasserpfütze, die sich zwischen den hölzernen Rippen am Boden des Bootes gebildet hatte. Die Pfütze war flach, gerade so tief, dass sie den Rochen bedeckte. Seine Bewegungsfreiheit war praktisch gleich null, zum Umdrehen reichte das Wasser nicht aus, und das Tier lag dort mit der falschen Seite nach oben.
Ich hatte noch nie einen Rochen von unten gesehen. Sein Bauch war weiß. Die Augen müssen auf der anderen Seite gewesen sein, nur ein kleiner, zahnloser Mund war zu sehen, der – ungefähr im Rhythmus des menschlichen Herzschlags – nach Luft schnappte.
Dann hörte der Mund plötzlich auf, sich zu bewegen. Nach einigen Sekunden krümmte sich das kleine Tier noch einmal kurz, als versuchte es, sich auf die richtige Seite zu drehen – und starb.
Und, was weiter?
Nichts weiter. Es starb. Und ich packte meine Sachen und stieg in den Vormittagsbus, obwohl die bereits beglichene Wochenmiete den Preis für das Mittagessen beinhaltet hätte.
(Aufgeschrieben zwischen November 2011 und August 2012)
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Über Eugen Ruge
Eugen Ruge, 1954 in Soswa (Ural) geboren, studierte Mathematik an der Humboldt-Universität und wurde wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentralinstitut für Physik der Erde. Seit er 1988 aus der DDR in den Westen ging, ist er hauptberuflich fürs Theater und für den Rundfunk als Autor und Übersetzer tätig.
Für seine dramatischen Arbeiten erhielt Eugen Ruge den Schiller-Förderpreis des Landes Baden-Württemberg; 2009 wurde sein erstes Prosamanuskript «In Zeiten des abnehmenden Lichts» mit dem Alfred-Döblin-Preis ausgezeichnet; für den daraus entstandenen Roman erhielt er den Aspekte-Literaturpreis und den Deutschen Buchpreis 2011.
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Über dieses Buch
Ein Mann lässt alles hinter sich: seine Stadt, sein Land, sein bisheriges Leben. Mit nicht viel mehr als einer Hängematte und ein paar Schreibheften im Gepäck steigt er in einen Zug Richtung Süden: Andalusien. Der Name zieht ihn an.
Der Zufall bringt ihn nach Cabo de Gata, ein Fischerdorf an der Mittelmeerküste. Die Landschaft ist öde; ein kalter Wind weht. Kein Ort zum Bleiben. Und doch bleibt er, als einziger Gast in der Pension der alten Wirtin, die ihm unerklärlich feindselig erscheint, so abweisend wie alles hier.
Es ist, als hätten sie etwas zu verbergen: die Frau mit dem Gipsbein, der Fischer, der ständig sein Boot repariert, die beiden alten Männer im Pyjama, die sich jeden Morgen auf der Promenade anschreien. Das einzige Wesen, zu dem der Reisende schließlich Kontakt findet, ist
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