Cabo De Gata
ich weiterkomme. Tatsächlich scheint es eine Busverbindung zu meinem Ziel zu geben. Ich habe noch Zeit für ein Sandwich und einen Kaffee. Dann fährt draußen ein klappriger Bus vor, mit einem Schild hinter der Frontscheibe: Cabo de Gata .
Ich frage den Busfahrer, wie lange wir fahren werden; ich hoffe, dass es möglichst weit ist, denn was ich bisher gesehen habe, ist nicht gerade, was ich mir unter einem «Hauch von Afrika» vorstelle. Mühsam lege ich mir meine Frage zurecht. Aber der Busfahrer, eine dicker Mann in einer schmuddeligen, rotbraunen Strickjacke, dreht sich nicht einmal zu mir um, er stößt lediglich ein zischendes Geräusch zwischen den nicht mehr vollzähligen Schneidezähnen hervor. Ich frage den Mann ein zweites Mal, aber wieder kommt nur ein Zischen. Und als ich zu sagen wage, dass ich immer noch nicht verstanden habe, bringt er plötzlich eine Vierteldrehung zustande, richtet sich, die Hände aufs Lenkrad stützend, ein kleines Stück auf, offenbar empört über den Aufwand, den er meinetwegen betreiben muss, und sagt dann laut und deutlich, unter konsequenter Weglassung des Buchstabens «s»: TRE ORA!
Und lacht. Und ist jetzt plötzlich in der Lage, sich zu den drei oder vier Fahrgästen umzudrehen, um sich davon zu überzeugen, dass seinen Witz auch alle gehört haben – aber worin besteht der Witz?
Der Bus fährt an, bevor ich mich setzen kann. Ich wanke durch den Mittelgang, werde zwischen den Sitzen hin und her geschleudert. Einer der Fahrgäste, die eben noch über mich gelacht haben, glaubt, mich zu trösten, indem er mir die wirkliche Fahrzeit zuraunt: Cuarenta y cinco , fünfundvierzig Minuten. Ich setze mich, schaue aus dem Fenster, warte, dass das, was da draußen vorbeizieht, einen «Hauch von Afrika» zu bekommen beginnt.
Ich erinnere mich an elende Neubauten (rosa), an Fabrikgerippe im Hintergrund, von denen sich schwer sagen lässt, ob sie noch im Bau oder schon im Verfall begriffen sind. Ich erinnere mich an primitive Vorstadthäuser, die Dächer so niedrig, dass ich vom Bus aus darauf schauen kann. Ich erinnere mich an geflickte Teerbahnen, schwarze Wasserbehälter, Antennen, Kabelgewirr. Ich erinnere mich an ein winziges Gartenrestaurant mit verstaubten, bunten Lichterketten. Ich erinnere mich noch sehr gut an die Palme am Wegrand, ein graues, ebenfalls völlig verstaubtes Geschöpf, das auf dem betonharten Boden ein unbegreifliches Dasein fristet.
Dann ist die Stadt zu Ende. Der Bus schwingt sich in einer komplizierten Schleifenbewegung auf eine bombastische Kreuzung, die zwei fast unbefahrene, schmale Landstraßen mitten in der Steppe verbindet – schwingt sich auf in verwirrende Kurven, um am Ende doch nur geradeaus zu fahren.
Ich erinnere mich an regelrechte Müllhalden links und rechts der Landstraße. Bauschutt, zerbrochene Fliesen, Steine, alles schon zugeweht, spärlich überwuchert. Die ganze Landschaft kommt mir vor wie ein zugewehter, spärlich überwucherter Müllabladeplatz. So weit ich blicken kann: Scherben, alte Schuhe, einmal ein Kinderwagengestell und immer wieder, auffällig, bunt, die Errungenschaften der Polymerenchemie, schwer verwitterbar aufgrund ihrer Beständigkeit gegen Säuren und Laugen. Noch in hundert Jahren wird diese gelbe Tüte dort an den Stacheln der Agave im Wind flattern.
Dann, ungefähr auf halber Strecke am Wegrand, ein riesiges Schild, für dessen Übersetzung man eigentlich kein Wörterbuch braucht. Trotzdem schlage ich nach, weil ich nicht glaube, was ich da lese:
PARQUE NACIONAL CABO DE GATA – EL ULTIMO PARAISO DE EUROPA
Von jetzt an beginne ich die Minuten zu zählen, die bleiben, bis zum Paradies.
9
An ein Ortseingangsschild erinnere ich mich nicht. Der Bus rumpelt über eine Bordsteinkante, kommt zum Stehen. Ich bin der letzte Fahrgast. Der Busfahrer öffnet die Tür, ruft irgendwas, ohne sich umzudrehen.
Dann stehe ich auf einem Platz, genauer: auf dem spitzwinkligen Dreieck zwischen zwei in einen Kreisverkehr mündenden Straßen. Der Boden ist trocken, verkrustet. Eine marode Mauer begrenzt das Segment. Ein Trafohäuschen. Ein Haltestellenschild, verrostet, schief, der aufgeklebte Fahrplan unleserlich: die Wirkung von Sonne und Seeluft.
Der Bus rumpelt über die Bordsteinkante zurück auf die Straße – weg ist er.
Ich schultere meinen Rucksack und gehe in die Richtung, wo ich das Meer vermute. Ein Husky liegt schlafend vor einem kleinen Supermercado. Links taucht eine kleine Kirche auf, rechts ein erhöhter
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