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Cabo De Gata

Cabo De Gata

Titel: Cabo De Gata Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eugen Ruge
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«Wärmesog») zu schützen.
    So lag ich an diesem Abend im Bett und las mit klammen Fingern ein Buch, das mein Freund Georg mir mit auf die Reise gegeben hatte. Es war Henry Millers Koloss von Maroussi , in dem der gerade weltberühmt gewordene Schriftsteller seine Griechenlandreise beschreibt – eine einzige Abfolge von wunderbaren Geschehnissen; ich erinnere mich an mythische Erlebnisse beim Baden in einer einsamen Bucht, an eine Autofahrt durch die Berge (waren es Weinberge?), bei der alle betrunken, bekifft oder auf sonst irgendeine Art bodenlos glücklich waren.
    Zu allem Überfluss stellte ich fest, dass im Bad das Warmwasser nicht funktionierte. Ich schlief ein mit dem Vorsatz, morgen nach Gibraltar und von dort aus nach Afrika weiterzufahren.
    Am nächsten Tag stand ich früh auf und packte meine Sachen. Ich erinnere mich an den (wiewohl flüchtigen) Gedanken, stillschweigend abzuhauen, falls ich die Wirtin nicht im Restaurant anträfe, doch ich traf sie an.
    Dass jemand zu frühstücken wünschte, schien für die Alte eine Überraschung darzustellen. Ich erinnere mich, dass sie mir mit großem gestischem Aufwand bedeutete, sie werde rasch zum Bäcker gehen, um Brot zu holen, und als ich zu bedenken gab, dass ich gern den Morgenbus schaffen wolle, behauptete sie, dass heute – es war Sonntag – kein Morgenbus fahre, sondern nur der Abendbus (was sich als richtig erwies; allerdings erwies sich auch, dass sonst täglich morgens und nachmittags Busse fuhren, mit anderen Worten: dass mich die Alte am Vortag belogen hatte).
    Zum Frühstück servierte sie mir Weißbrot mit Olivenöl und einer Tomate.
    Als ich für die Nacht bezahlte, versuchte ich, den Zimmerpreis wegen des fehlenden Warmwassers zu drücken, vergeblich, wenngleich die Alte unverzüglich mit mir in das Zimmer ging und sich untröstlich über den Defekt zeigte. Immerhin lernte ich dabei das Wort fontanero , das die Alte mehrmals angesichts des ausbleibenden Warmwassers ausrief, ein Wort, das ich vermutlich nie wieder brauchen, das ich jedoch, so wusste ich im selben Moment, mein Leben lang nicht mehr vergessen würde.
    Ich bat die Alte, den Rucksack im Restaurant lassen zu dürfen, und entschloss mich zu einem Strandspaziergang. Das Wetter war umgeschlagen, der Himmel blau. Instinktiv ging ich in östlicher Richtung, also von Almería weg, auf eine kleine Gebirgskette zu, die einige Kilometer weiter steil ins Meer abfiel. Natürlich erinnere ich mich an die bunt angestrichenen Fischerboote, die am Rand des Ortes im Sand lagen, aber wenn ich an diesen Spaziergang zurückdenke, kommen mir weniger die Boote in den Sinn, sondern die Motorwinden, genauer: die hässlichen Gehäuse aus Plastik oder Holz, mit denen sie verkleidet waren und die – halb Kunstobjekten, halb Grabsteinen ähnlich – zwischen Netzen und Fischkisten, verrosteten Maschinenteilen, Bootsgerippen, Altölflecken, Plastikflaschen und zerknautschten Zigarettenschachteln oberhalb der Strandböschung herumstanden.
    Auf dem Weg begann ich unwillkürlich Muscheln zu sammeln, mechanisch, gedankenlos, wobei ich bald darauf verfiel, jeweils die letzte Muschel wegzuwerfen, wenn ich eine schönere fand.
    Nach vielleicht vier oder fünf Kilometern tauchte an der Straße, die parallel zum Strand verlief, eine Kirche auf. Sie war offensichtlich nicht mehr in Betrieb, und als ich den kleinen Turm und die neogotischen Ornamente betrachtete, die Wind und Wetter auf eine Weise geschliffen hatten, wie ich es noch nie gesehen hatte, kam mir der für meine Verhältnisse abwegige Gedanke, das Gemäuer hätte, nachdem der Geist ausgeflogen war, den Widerstand gegen die Naturgewalten aufgegeben .
    Ein Stück weiter lag ein umzäuntes Gelände mit einem weißen Berg, den ich schon aus der Ferne gesehen hatte: Salz, dem Anschein nach. Hinter diesem seltsamen Vorposten befand sich eine kleine Ortschaft, die Häuser wie zufällig zwischen die Agaven gestreut. Dahinter erhob sich, als wäre es das Ende der Welt, ein schwarzes Gebirge.
    Auf dem Rückweg dann Folgendes: Die letzte, die schönste Muschel auf meinem Weg war eine gut erhaltene kleine Conch-Spirale gewesen. Ich hatte sie in die rechte Jackentasche gesteckt und befühlte sie nun, gedankenverloren, im Gehen. Plötzlich ertastete ich etwas Haarig-Drahtiges. Erschrocken zog ich die Hand aus der Tasche, holte dann vorsichtig die Muschel heraus. Aus dem Gehäuse ragten zwei rote Fühler und zwei kleine Scheren; winzige, schwarze Knopfaugen schienen mich

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