Cachalot
Taggeschöpfe.«
»Das sind sie nicht«, erklärte Dawn, »aber die großen schwimmen nie in die Riffuntiefen. Diejenigen, die es doch tun, sind zu klein, um einem Schwimmer gefährlich zu werden, und wir sind zu fünft.«
Wie offensichtlich, überlegte Cora. Versuchte Merced dem Mädchen die Scheu zu nehmen, indem er ihr Gelegenheit gab, ihr Wissen zu zeigen? Das mußte es sein. Sie hatte genug von dem kleinen Wissenschaftler gesehen und gehört, um einiges zu vermuten, aber Naivität unterstellte sie ihm nicht.
Natürlich würde ein Schwärm gefährlicher Raubfische unterwegs sein. Wenn sich die Kephalopoden diesen Ort und die Zeit zur Paarung ausgesucht hatten, dann wußten das auch die Räuber.
Nacheinander schalteten sie ihre Handstrahler ein, befestigten die Projektoren an den dafür vorgesehenen Ösen am Handgelenk, und glitten lautlos ins Wasser.
Die Strahler waren notwendig, um ihre Umgebung zu erleuchten. Es erübrigte sich, mit den Lampen nach den anderen zu suchen, da die Gelanzüge nicht nur thermosensitiv, sondern auch thermolumineszent waren. Während das Gel die Körperwärme regelte, reichte diese Wärme auch aus, um die Atome des Anzugmaterials zur Fluoreszenz anzuregen. So kam es, daß jede schwimmende Gestalt in weichem Gelb erstrahlte.
Als sie sich dem Riff näherten, begegneten ihnen Myriaden phosphoreszierender Hexalate und andere Geschöpfe, aber nichts besonders Auffälliges. Cora hatte ähnliche Phänomene auf anderen Welten beobachtet.
Dann schien das Riff abrupt allseits abzufallen, und sie schwammen in einer weiten, offenen Höhlung, einem natürlichen Unterwasser-Amphitheater. Und diese vom Wasser erfüllte Schüssel war eines der großartigsten Bilder, das man sich vorstellen konnte. Eine Zeitlang vergaß Cora die Sorge um ihren Auftrag, die sie immer noch erfüllte, vergaß die Erinnerung der schmerzhaften Konfrontation mit Sam und Dawn in der Stadtbibliothek. Alles vergaß sie. Vor ihr entfaltete sich ein Schauspiel, das alle Angst überdeckte.
Wahrscheinlich hatte Sam die Zahl der Kephalopoden unterschätzt. Zehntausende flatterten und tanzten vor ihnen und rings um sie. Manche tanzten zu Dreien und Vieren. Andere hatten ihre Partner gefunden, während viele Tausende in der irisierenden Orgie flüssiger Kopulation ihre Partner suchten. Myriaden von Scheinwerfern flammten und pulsierten rings um sie. Und bald fing um sie herum etwas an, das weder Sam noch Dawn erwähnt hatten.
Die Gelanzüge leuchteten gelb, nicht rot oder blau. Doch das hatte nichts zu besagen. Angetrieben von Neugierde, Leidenschaft oder einer Macht, die die menschliche Phantasie nicht kennt, begannen die Kephalopoden jede der zweibeinigen Gestalten zu umschwärmen. Cora fand sich plötzlich inmitten eines Walzers von unvorstellbarer Schönheit und Grazie. Sie ließ sich treiben, schwebte in Lumineszenz, während blaue und rote Kugeln um ihre Hände, ihren Kopf und ihre Beine kreisten.
Sie spähte durch das Farbenspiel und sah die gelbe Gestalt Rachaels von einem aufmerksamen Hof blitzender Sterne umgeben, ein Atomkern, den hellblaue und hellrote Elektronen umkreisten.
Sie hob eine Hand. Sofort begannen zwei der blauen Kephalopoden eine gemessene Pirouette um ihre Fingerspitzen zu tanzen, mit einer unbeschreiblichen Grazie auf und ab zu hüpfen. Jetzt stieß einer gegen ihre Gesichtsplatte, wobei sie instinktiv zurückzuckte. Aber es war eine weiche Kollision, so wie mit einer Puderquaste. Sie starrte in sieben fremde Augen, geschlitzt wie die einer Katze, und von vollem Purpur, so als versuchten sie, einen Abgrund der Intelligenz und der Entwicklung zu überbrücken.
Dann trieb das enttäuschte Geschöpf mit einem hypnotischen Winken seiner Tentakel davon.
Sie trat Wasser und blieb über dem Grund unter der Oberfläche. Über ihr war kein Himmel, unter ihr kein Boden. Sie trieb in einem Meer der Sterne. Sie mußte sich dazu zwingen, an die Nähe scharfer Hexalatspitzen zu denken, die ihren Gelanzug oder ihre Luftschläuche durchtrennen konnten. In solchem Licht, fern allen Bezugspunkten, konnte man leicht die Orientierung verlieren und gegen die Riffwand stoßen.
Trotz solcher Gefahren ertappte sie sich bei dem Wunsch, aus dem Anzug steigen und nackt und rein im finsteren Wasser schwimmen zu können, umgeben von sanft wogenden blauen und roten Lichtern.
Sie hob jetzt beide Hände und sah zu, wie ein Dutzend männlicher Kephalopoden ihre Finger umkreisten. Sie bewegte die Hände auf und ab, und die
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