Cachalot
Linie der Technikerin, einer Fremden, die größer, voller und mindestens zehn Jahre jünger als Cora war. Ihrem verzückten Gesichtsausdruck nach hatte sie eben den Höhepunkt erreicht. Sam drehte sich halb zur Seite, löste sich aus ihr und zerstörte das unglaublich peinliche Bild, indem er das Schlimmste tat, was möglich war. Er lächelte, Verzeihung heischend, während er sich auf die Knie erhob.
»Entschuldigung«, brachte Cora schließlich heraus, mit jener unglaublichen Ruhe, die sich so oft in Zeiten emotioneller Lähmung einstellt. »Es war nichts Wichtiges.«
»Cora?« Aber sie hatte den Raum bereits verlassen. Er folgte ihr nicht.
Immer noch eisig gefaßt, verließ sie das Gebäude. Sie brachte es fertig, die Hälfte des Weges zu den Besucherapartments langsamen Schritts zurückzulegen – erst dann fing sie zu laufen an. Ein paar Bürger der Stadt blickten ihr neugierig nach. In Vai‘oire gab es keinen Anlaß zur Eile. Alles lag ganz nahe beieinander.
Cora betrat die Empfangshalle. Das Schicksal hatte ihr einen kleinen Gefallen erwiesen: Rachael war nicht zu sehen. Sie rannte in ihr Zimmer und schloß die Tür hinter sich ab. Dann brach sie über dem Bett zusammen und lag eine endlose Zeit dort, versuchte zu weinen. Schließlich stellte sie fest, daß sie es nicht konnte. Sie lachte wild; ihre Kehle brannte. Außer Übung. Die Gewohnheiten sterben schwer. Keine Träne trat ihr in die Augen. Nicht für Sam, nicht für sich selbst.
Erschöpft wälzte sie sich zur Seite. Der Kopf hing ihr zu Boden. Unter dem fernen Wasser tanzten und wirbelten Regen bogen.
Warum bist du so erregt? fragte sie sich stumm und verärgert. Was gibt es eigentlich, über das es sich zu ärgern lohnt? Er hat dir nichts versprochen, dich zu nichts gezwungen. Er hat dich einfach auf ganz sanfte Art verführt. Ja? Wie war das denn mit der Kaverne, Schönheit – und er wußte, daß sie dich überwältigen würde. Und du hast dich überwältigen lassen. Aber er und die Schönheit waren zwei Dinge, und du hast bereitwillig von beidem getrunken. Du wolltest ihn also lieben.
Kritische Frage: willst du denn mehr als das? Weiß nicht, weiß nicht, Herrgott, ich weiß es nicht! Du hast dich mit offenen Augen darauf eingelassen. Ja, mit offenen Augen und offenem Schoß und verriegeltem Verstand. Verstand. Geschieht dir recht! Du verdienst, was dieses Leben dir gibt!
Dann hör auf, dich wie eine Sechzehnjährige zu benehmen! Die ganze Zeit hackst du auf Rachael herum, daß sie sich unreif benimmt, und dabei benimmst du dich viel schlimmer, als sie das je getan hat. Wenn du ihn wiedersiehst, tust du einfach, als ob nichts geschehen wäre! Ja…schließlich ist er immer noch für die Sicherheit dieser Expedition verantwortlich. Und so behandelst du ihn. Höflich, freundlich – und distanziert. Und wenn er dich auch nur berührt…
Und wieder stieg die Wut in ihr auf, wie Lava im Schlund eines Vulkans, und legte sich ebenso schnell wieder. Wie interessant es doch war, sagte sie sich, Spekulationen über die Verwandtschaft des Menschen mit dem Affen anzustellen. Du darfst es Sam nicht vorwerfen, daß die ganze Gattung keine Fortschritte gemacht hat.
Sie drehte sich auf den Rücken und studierte die Decke. Der Mann muß sich immer wieder beweisen. Du kannst dem Führer einer Orang-Utan-Familie nicht dafür böse sein, daß er sich so benimmt, wie es seiner Position entspricht. Mit dieser Realität konnte sie fertig werden. Seit Jahren hatte sie das getan. Kein Grund, jetzt einen Schritt zurück zu tun. Sam hatte bewiesen, was er beweisen wollte. Und über die Gedanken hinter seinem lächerlichen kleinen Lächeln, dort auf dem Boden in der Bibliothek, wollte sie gar nicht erst nachdenken. Wie albern!
Als sie in ihr Zimmer zurückgerannt war und sich in ihrem Bewußtsein Verwirrung, Schmerz und Erinnerung ineinander vermischt hatten, hatte sie gedacht, er hätte sie verspottet, sie bewußt mit der Frau gedemütigt. Der männliche Pfau spreizt seine Federn, dachte sie.
Aber das hieße zu viel von ihm verlangen. Er hatte nie den Anspruch erhoben, schlau oder beredt zu sein, und jetzt hatte er demonstriert, wie sehr ihm diese beiden Eigenschaften fehlten. Du warst es, erinnerte sich Cora befriedigt, du warst es, die die Situation in die Hand genommen hat, und etwas gesagt hat, Ebensogut hättest du umkehren können und einfach weggehen. Vielleicht hätten die beiden dich gar nicht bemerkt. Das Lächeln war nichts anderes als ein
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