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Cäsar Birotteau (German Edition)

Cäsar Birotteau (German Edition)

Titel: Cäsar Birotteau (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Bankerott und Bankerotteure waren im ganzen Pariser Handelsstande bekannt. Oftmals hatte er gesagt: »Wer seinen Konkurs anmeldet, ist noch ein ehrlicher Kaufmann, aber aus der Gläubigerversammlung geht man immer als Schelm hervor!« Pillerault lauerte die günstigste Stunde ab, um ihn mit der Notwendigkeit vertrauter zu machen, vor seinen Gläubigern erscheinen zu müssen. Dieses Muß dünkte Birotteau schlimmer als der Tod. Seine dumpfe Resignation machte einen tiefen Eindruck auf Pillerault. Mitten in der Nacht hörte er ihn zuweilen schreien: »Nie! Niemals! Lieber will ich vorher sterben!«
    Pillerault, trotz der Schlichtheit seines Lebens ein ganzer Mann, verstand diese Schwäche Birotteaus und beschloß, ihm diese Tortur zu ersparen, der er vielleicht gar unterliegen könne. Das Gesetz hält in diesem Punkte an den Formalitäten unerbittlich fest. Jemand, der nicht persönlich dort erscheint, hat sich lediglich wegen dieser Weigerung unter Umständen vor dem Staatsanwalt wegen betrügerischen Bankerotts zu verantworten. Aber wenn das Gesetz auch den in Konkurs Geratenen zwingt, sich zu stellen, so besitzt es doch nicht die Macht, die Gläubiger zu zwingen, in der Versammlung persönlich zu erscheinen. Eine Gläubigerversammlung ist nur in ganz bestimmten Fällen mehr als eine Formalität, beispielsweise wenn benachteiligte Gläubiger begünstigten Gläubigern gegenüberstehen.
    Pillerault suchte alle Gläubiger einzeln auf und bat sie, in der Hauptgläubigerversammlung nicht persönlich zu erscheinen, sondern einen Vertreter damit zu beauftragen. Alle, mit Ausnahme von du Tillet, bedauerten Birotteau aufrichtig, denn alle wußten, wie sehr sich dieser die Sache zu Herzen nahm, wie rechtschaffen er war, wie ordentlich seine Bücher geführt waren und wie klar die Sache stand. Keiner der Gläubiger wollte in den Verdacht kommen, schadenfroh zu sein. Molineux, der Konkursverwalter, hatte in Cäsars Wohnung seine sämtlichen Habseligkeiten bis auf den von Popinot geschenkten Kupferstich »Hero und Leander«, die Wertsachen, die er getragen, seine Tuchnadel, die goldenen Schuhschnallen, seine beiden Uhren vorgefunden; alles war da, nichts fehlte. Ebenso hatte Konstanze ihr bescheidenes Schmuckkästchen zurückgelassen. Mit einem Wort, Birotteau bewies sich im Kleinen wie im Großen als rechtlicher Mann.
    Man erkannte das allgemein an, und wenige Wochen nach der Konkurseröffnung wandelte sich die Meinung über ihn an der Börse völlig zu seinen Gunsten. Die gleichgültigsten Leute gestanden, der Konkurs Birotteaus sei eine der wunderlichsten Seltenheiten, die man je erlebt habe. Als die Gläubiger sahen, daß sie ungefähr sechzig Prozent bekommen würden, taten sie alles, was Pillerault wollte, und so gelang es ihm, daß sich die Gläubiger insgesamt durch drei Bevollmächtigte vertreten ließen. Somit setzte sich die gefürchtete Versammlung nunmehr zusammen aus dem mit dem Konkurs beauftragten Richter, den beiden Konkursverwaltern, drei Bevollmächtigten, Pillerault und Ragon. Am Morgen des Tages, an dem sie stattfand, sagte Pillerault zu Birotteau:
    »Cäsar, du kannst heute ohne jegliche Angst in die Gläubigerversammlung gehen. Du wirst keinen deiner Gläubiger vorfinden!«
    Ragon kam, seinen Schuldner abzuholen. Als der vormalige Besitzer der »Rosenkönigin« seine klanglose Flüsterstimme hören ließ, erbleichte Cäsar, aber der kleine gutmütige alte Mann öffnete die Arme, und Birotteau fiel ihm um den Hals wie ein Sohn seinem Vater. Beide weinten.
    Der Fallierte faßte Mut, als er so viel Nachsicht sah, und stieg mit Pillerault und Ragon in eine Droschke. Schlag halb elf kamen sie vor dem Handelsgericht an, das damals im Kloster Saint-Merri war. Tag und Stunde waren vom Richter im Einvernehmen mit den beiden Konkursverwaltern festgesetzt worden. Im »Konkurssaale« hatte um diese Stunde niemand mehr etwas zu suchen. Birotteau hatte somit nichts zu fürchten.
    Trotzdem betrat er das Zimmer des Handelsrichters Camusol, das zufällig dereinst das seine gewesen war, tief ergriffen. Der Gedanke, nachher den »Konkurssaal« betreten zu müssen, machte ihn halb besinnungslos.
    »Es ist heute sehr kalt«, bemerkte Camusol zu Birotteau, »Ich denke, die Herren werden nichts dagegen haben, wenn ich Sie bitte, die kleine Formalität gleich hier in meinem Zimmer zu erledigen. Wir würden drüben im Saale frieren. Nehmen Sie, bitte, Platz!«
    Er sagte nicht: »im Konkurssaale«.
    Jeder nahm sich einen Stuhl. Der

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