Cäsar Birotteau (German Edition)
gelegene häßliche Stube, in der Popinot mit Gaudissart und Finot das Kephalol aus der Taufe gehoben hatte.
Als Molineux, der vom Handelsgericht zum Konkursagenten ernannt worden war, kam, um Birotteaus Aktiva mit Beschlag zu belegen, machte Konstanze mit ihm unter Cölestins Beihilfe Inventur. Dann verließ sie zusammen mit Cäsarine zu Fuß und schlicht gekleidet das Haus, ohne sich noch einmal umzuschauen; sie begaben sich zu Onkel Pillerault.
Zum erstenmal nach ihrer Trennung aßen sie wieder, dort zusammen mit Cäsar. Es war eine traurige Mahlzeit. Jeder hing seinen Gedanken nach. Wie Seeleute waren alle drei bereit, gegen den Sturm zu kämpfen, ohne sich die Gefahren dabei zu verhehlen. Als Cäsar erfuhr, mit welchem Eifer sich hohe Persönlichkeiten um sein Schicksal gekümmert hatten, faßte er wieder Mut; aber als er erfuhr, daß seine Tochter in fremde Dienste gegangen war, weinte er. Dann reichte er beiden die Hände zum Dank für den Mut, mit dem sie das Leben von vorn anfingen,
»Aus Sparsamkeitsrücksichten«, sagte Pillerault zu Cäsar, »wirst du bei mir wohnen. Teile mein Zimmer und mein Brot. Ich hatte das Alleinsein schon lange satt. Von hier bis zu deiner Kanzlei in der Rue de l'Oratoire sind es nur ein paar Schritte.«
»Der liebe Gott verläßt mich nicht!« sprach Cäsar fromm.
Sobald ein Kaufmann seinen Konkurs angesagt hat, sollte er sich eigentlich nur noch damit beschäftigen, in Frankreich oder im Auslande einen stillen Winkel zu suchen, wo er, ohne sich mit irgend etwas zu befassen, leben kann – wie ein Kind. Denn das ist er wieder geworden. Das Gesetz erklärt ihn für unmündig, für keiner rechtsgültigen Handlung fähig und für eine Null im öffentlichen Leben. Ganz so schlimm, wie dies aussieht, ist das allerdings in der Praxis nicht. Jedes Gesetz, das in das Privatleben des einzelnen eingreift, hat zur Folge, daß die menschliche Schlauheit die verzwicktesten Umgehungen findet. Die Intelligenz der Fallierten arbeitet naturgemäß darauf hin, die ihnen feindlichen Gesetze wirkungslos zu machen. Der Zustand des tatsächlichen bürgerlichen Todes dauert ungefähr ein Vierteljahr, das heißt die Zeit durch alle Formalitäten hindurch bis zum Friedensschluß zwischen Schuldner und Gläubigern, bis zu dem Vergleich. Dieses ganze Drama hat seine Einteilung in Akte, seine Szenerien, seine dem Publikum unsichtbaren Maschinerien und so weiter. Die Aufführung sieht sich, ganz wie im Theater, vom Zuschauerraum aus anders an als von der Bühne.
Nach Einsicht der mit der Konkursanmeldung eingereichten Bilanz ernennt das Handelstribunal einen Richter, der die Interessen der Konkursmasse den Gläubigern gegenüber wahren und den Schuldner vor den Quälereien gereizter Gläubiger schützen soll, der somit eine zweifache Rolle innehat, die sich prächtig spielen ließe, wenn die Richter die Zeit dazu hätten.
Der mit der Ordnung des Konkurses beauftragte Richter läßt durch den Konkursagenten die Gelder, die Guthaben, die Waren und so weiter mit Beschlag belegen und prüft die in die Bilanz aufgenommenen Aktiva. Dann wird ein Termin zur Zusammenberufung der Gläubiger angesetzt und in den Zeitungen bekanntgegeben. Die Gläubiger, gleichviel ob echte oder unechte, vereinigen sich und wählen provisorische Konkursverwalter, die nunmehr den Konkursagenten ersetzen.
Stimmrecht in der Gläubigerversammlung hat sowohl der, dem der Gemeinschuldner einen Taler, wie der, dem er fünfzigtausend Francs schuldet. Die Stimmen werden gezählt, nicht gewogen. Diese Versammlung, in der sich auch von dem in Konkurs Geratenen künstlich gemachte Gläubiger befinden können (die, wenn welche vorhanden sind, keine Versammlung versäumen!), schlägt eine .Anzahl Personen zu Konkursverwaltern vor, aus denen der Richter zwei akzeptiert. Unter Umständen werden also Leute Konkursverwalter, die der Fallierte zu haben wünscht.
Das Gesetz will, daß sich der Vergleich, der dem Schuldner einen Teil seiner Schulden erläßt und ihm sein Geschäft zurückgibt, auf eine gewisse Majorität der Schuldsummen und Gläubiger stützt. Dieses Ziel erheischt eine geschickte, sich mit den oft einander kreuzenden oder entgegenlaufenden Interessen der einzelnen Gläubiger abfindende Geschäftsführung des Richters, der Konkursverwalter und des Anwalts des Schuldners. Einem betrügerischen Bankerotteur öffnen sich eine Menge Hintertüren. Häufig arrangiert er indirekt seinen Vergleich selber.
Kommt es zu keinem Vergleich,
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