Cäsar Birotteau (German Edition)
»daß ich wenigstens nicht das Brot meiner Gläubiger zu essen brauche!«
Seine früheren Bekannten fanden Birotteau wie verwandelt. Ein volles Jahr gönnte er sich nicht die geringste Erholung. Obgleich er wußte, wie wahrhaft freundschaftlich gesinnt ihm Ragons waren, so konnte man ihn doch nicht bewegen, zu ihnen oder zu Lebas, Matifat, Protez, Chiffreville oder gar einmal zu Vauquelin zu. gehen, die alle geradezu wetteiferten, ihm ihre Verehrung merken zu lassen. Er blieb lieber für sich in seinem Zimmer, um ja keinem seiner Gläubiger zu begegnen. Je herzlicher und zuvorkommender man ihn behandelte, um so bitterer erinnerte er sich seiner Lage.
Auch Konstanze und Cäsarine mieden jede Geselligkeit. An den Sonn- und Feiertagen, den einzigen Tagen, die sie frei hatten, holten sie Cäsar zur Stunde der Messe ab und leisteten ihm nach Erfüllung dieser kirchlichen Pflicht in Pilleraults Wohnung Gesellschaft. Zuweilen lud dieser den Abbé Loraux mit ein, dessen Gespräche den Schwergeprüften aufrechterhielten. Sonst wurde niemand hinzugezogen. Pillerault war selbst viel zu rechtschaffen und feinempfindend, als daß er Birotteaus Schamgefühl verletzt hätte. Bei alledem war er eifrig bemüht, den Kreis der Menschen zu vergrößern, dem der Fallierte mit reiner Stirn und erhobenem Angesicht wieder hätte entgegentreten können.
Im Mai des Jahres 1821 fiel der Jahrestag von Cäsars Verlobung mit Konstanze auf den letzten Sonntag. Im Einverständnis mit Ragons hatte Pillerault ein kleines Landhaus in Sceaux gemietet, wo er den gastlichen Hausherrn spielen wollte.
»Cäsar«, sagte er am Abend vorher, »morgen machen wir eine Landpartie und du wirst mitkommen!«
Birotteau, der eine sehr hübsche Handschrift hatte, saß da und kopierte – wie alle Abende – Schriftstücke für seinen früheren Rechtsanwalt. Mit Erlaubnis seines Seelsorgers arbeitete er auch an den Sonntagen wie ein Berserker.
»Nein, nein«, gab er zur Antwort, »Derville will diese Bogen am Montag früh haben!«
»Du mußt schon deiner Frau und deiner Tochter wegen mitgehen. Sie haben ein bißchen Erholung wirklich mal nötig! Übrigens wirst du nur gute Freunde draußen vorfinden: den Abbé Loraux, Ragons, Popinot und seinen Onkel. Du kommst mit! Ich will es!«
Im Drange ihrer Geschäfte waren Cäsar und Konstanze seit ihrer Verlobung nie wieder hinaus nach Sceaux gekommen, obgleich sie beide sehr gern den Baum einmal wiedergesehen hätten, unter dem dereinst der erste Kommis der »Rosenkönigin« vor Wonne halb ohnmächtig zu Konstanzes Füßen gesunken war. Unterwegs warf ihm Frau Birotteau einen verheißungsvollen Blick zu, ohne indessen seinen Lippen das leiseste Lächeln zu entlocken. Als sie ihm gewisse Worte ins Ohr flüsterte, schüttelte er mit dem Kopfe, ohne eine Silbe zu sprechen. Statt daß ihn die Liebesworte seiner so treuen Gattin aufheiterten, machten sie ihn mir noch düsterer. Seine Augen wurden tränenfeucht. Zwanzig Jahre war es her, daß er jung, wohlhabend und verliebt an der Seite eines schönen Mädchens die nämliche Straße dahingefahren war. Damals, hatten ihn Glücksträume umgaukelt, und heute saß ihm im Wagen dieselbe Frau zur Seite, einer von durcharbeiteten Nächten bleichen Tochter gegenüber. Ihre Schönheit war dahin, nur ihre Liebe war ihm geblieben!
Die Wehmut seiner Züge ließ in Cäsarine und Anselm, die heute junge Liebesleute waren wie jene einst, keine rechte Freude aufkommen.
»Seid glücklich, meine Kinder!« rief Birotteau schmerzlich bewegt aus, »es ist euer Recht! Eure Liebe stören keine trübseligen Gedanken!«
Während er das sagte, hatte er die Hände seiner Frau ergriffen und küßte sie in einer Verehrung und Andacht, die ihr tiefer zu Herzen ging, als wenn er lebhaft und fröhlich geworden wäre.
Als sie in dem Landhause ankamen, wurden sie von Ragons, Pillerault, dem Abbé Loraux und dem alten Popinot derartig liebevoll empfangen, daß Birotteaus Stimmung heiterer wurde.
»Geht eine Weile im Walde spazieren!« rief Pillerault, indem er Cäsars und Konstanzes Hände ineinanderlegte. »Nehmt Anselm und Cäsarine mit! Um vier Uhr kommt ihr zurück!«
»Die armen Leute!« meinte Frau Ragon, als die beiden Paare fort waren, »Wir müssen sie ein bißchen aufmuntern! Sie werden schon wieder lebenslustig werden!«
»Er tut Buße, ohne gesündigt zu haben!« sagte der Abbé.
»Das Unglück macht ihn bewundernswürdig!« versetzte der alte Popinot.
Vergessen können ist das
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