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Cäsar Birotteau (German Edition)

Cäsar Birotteau (German Edition)

Titel: Cäsar Birotteau (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Geld riskieren mußte. Er handelte mit Eisenwaren, Haus- und Feldgerät und anderem. Dieser ziemlich undankbare Handelszweig erfordert viel körperliche Arbeit, und so stand sein Gewinn in keinem rechten Verhältnis zur aufgewandten Mühe. Kein Vermögen war somit auf ehrlichere und mühevollere Weise gewonnen als das seine. Als er sich im Jahre 1814 von seinem Geschäft zurückzog, bestand sein Vermögen aus siebzigtausend Francs in bar, die er im Staatsrentenbuch eintragen ließ und die ihm fortan fünftausend und soundso viel Francs Jahreszinsen brachten. Dazu kam der Erlös für sein Geschäft, das ihm einer seiner Kommis abgekauft hatte: vierzigtausend Francs, die aber erst – und zwar ohne Zinsen – in fünf Jahren fällig waren. Dreißig Jahre hindurch hatte er bei einem Jahresumsatz von hunderttausend Francs sieben Prozent Reingewinn gehabt, wovon er zu seinem Lebensunterhalt nur dreitausendfünfhundert Francs verwendet hatte. Seine auf dieses mittelmäßige Vermögen nicht besonders neidischen Nachbarn lobten seine Vorsicht und Mäßigkeit, ohne sie zu begreifen.
    Nachdem Pillerault seinen Handel aufgegeben hatte, bewahrte ihn seine zur Gewohnheit gewordene nüchterne Lebensweise auch weiterhin davor, den Freuden eines untätigen Daseins nachzugehen, die so vielen Pariser Bürgern den Ruhestand gefährlich machen.
    Politisch war er liberal, und zwar radikal liberal wie alle jene Arbeiter, die nach der Revolution im Bürgerstande aufgegangen waren. Sein einziger Fehler war sein Stolz auf seine Unabhängigkeit. Er wäre keinen Schritt von seinen Rechten, seiner Freiheit, von den Errungenschaften der Revolution abgewichen! Er haßte die Jesuiten, durch die er Wohlstand und Liberalismus gefährdet wähnte. Er verachtete die Hofschranzen, glaubte an die republikanischen Tugenden, hielt den General Foy für einen großen Mann, Lafayette für einen politischen Propheten und Paul Louis Courier für einen guten Menschen. Mit einem Wort, er weidete sich an edlen Phantastereien. Er liebte das Familienleben und verkehrte in den Familien Ragon, Popinot, Matifat, Lebas. Fünfzehnhundert Francs genügten ihm im Jahre, um seine persönlichen Bedürfnisse zu bestreiten. Den Rest seiner Einkünfte verwendete er auf gute Werke und zu Geschenken für seine Nichte Konstanze. Viermal im Jahre gab er seinen Freunden im Restaurant »Roland« in der Rue du Hasard ein kleines Festessen und ging mit ihnen in ein Theater. Er spielte die Rolle jener alten Hagestolze, von denen sich hübsche verheiratete Frauen kleine Summen zur Befriedigung ihrer Launen und Einfälle, Billetts in die Oper oder in die Folies Bergères oder Einladungen zu Landausflügen erschmeicheln. Er war immer glücklich, wenn er andere erfreuen konnte. Er lebte und webte im Herzen anderer. Selbst als er sein Geschäft verkauft hatte, blieb er in dem Stadtviertel wohnen, an das er sich gewöhnt hatte. Er hatte eine kleine Wohnung von drei Zimmern im vierten Stock eines alten Hauses in der Rue des Bourdonnais inne. Seine Lebensweise war in der klösterlich schlichten Einrichtung seiner Behausung wiederzuerkennen. Er hatte ein Vorzimmer, ein Eßzimmer und einen Salon. Im Vorzimmer, das nur ein Fenster hatte, hingen an den grün tapezierten Wänden drei Stiche: »Bonaparte als Erster Konsul«, »Die Schlacht von Austerlitz« und »Der Eidschwur der Nordamerikaner«. Im Salon gab es nichts besonders Beachtenswertes, und sein Schlafzimmer war einfach wie das eines Mönches oder eines ehemaligen Soldaten. Über dem Bett im Alkoven leuchtete ein Kruzifix, ein merkwürdiges Glaubensbekenntnis bei einem Stoiker und Republikaner! – Die Wirtschaft besorgte ihm eine alte Aufwartung; aber aus Achtung vor den Frauen ließ er seine Schuhe nicht von ihr reinigen, er hatte bei einem Stiefelputzer abonniert. Seine Kleidung war schlicht und immer gleich. Gewöhnlich trug er Überrock und Hose aus blauem Tuch, eine bunte, baumwollene Weste, ein weißes Halstuch und ausgeschnittene Schuhe. An Feiertagen legte er einen Anzug mit blanken Metallknöpfen an. Regelmäßigkeit und Beständigkeit dünkten ihn die Bürgschaften für Gesundheit und langes Leben zu sein. Er stand Tag für Tag zur bestimmten Stunde auf; ebenso pünktlich vollzogen sich Frühstück, Spaziergang, Mittagessen und so weiter.
    Birotteau stieg die achtundsiebzig Stufen hinauf, die zu der kleinen braungestrichenen Tür Pilleraults führten. Er sagte sich dabei, der alte Mann müsse doch noch recht rüstig sein, wenn er

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