Cäsar Birotteau (German Edition)
Sixtinische Madonna, prächtig gerahmt, prompt da.
»Na, ist die nicht niedlich?« fragte er Cäsarine.
»Niedlich darfst du hier nicht sagen, Vater!« belehrte ihn seine Tochter; »wenn das jemand hört, lacht er dich aus. Sagt schön!«
»Seh mal einer das Küken an, das klüger ist als die Henne! Meinem Geschmack nach ist ,Hero und Leander‘ viel schöner! So eine Madonna macht sich sehr gut in einer Kapelle; aber ,Hero und Leander‘! Die muß ich mir kaufen! Ich habe so meine Ideen mit dem Comagen-Öl!«
»Vater, ich versteh dich nicht!«
»Virginie, eine Droschke!« rief Cäsar mit schallender Stimme, als er sich rasiert hatte und der schüchterne Popinot hinkend eintrat.
Der Verliebte hatte noch nicht bemerkt, daß sein Gebrechen für Cäsarine gar nicht vorhanden war. Solch köstlicher Liebesbeweis wird nur Menschenkindern zuteil, die mit irgendeinem Körperfehler behaftet sind.
»Herr Birotteau, unsere Presse kann morgen arbeiten!« Dabei wurde Popinot so feuerrot, daß ihn Cäsar fragte, was er habe.
Der Kommis schob es auf das Glück, daß er in der Rue des Cinq-Diamants für jährlich Zwölfhundert Francs einen Laden mit Hinterstube, Küche, Lagerräumen und drei Stuben darüber gefunden habe.
»Du mußt zusehen, daß du einen Mietvertrag auf achtzehn Jahre kriegst! Komm jetzt zu Vauquelin! Unterwegs reden wir weiter über die Sache!«
Cäsar und Anselm stiegen in die Droschke vor den Augen der andern Kommis, die über den sonntäglichen Anzug der beiden und das extravagante Vehikel staunten; sie wußten ja noch nichts von den hochfliegenden Plänen, mit denen sich der Herr der »Rosenkönigin« trug.
»Wir werden eine Vorlesung über die Nüsse hören!« prophezeite Birotteau.
»Nüsse?« fragte Popinot.
»Damit kennst du mein Geheimnis!« gab sein Prinzipal zur Antwort. »Ich habe eben das Wort ,Nüsse‘ ausgesprochen. Dieses Wort sagt alles. Nußöl allein vermag auf das Haar zu wirken, und noch keine Parfümerie hat daran gedacht! Als ich den Kupferstich ,Hero und Leander‘ betrachtete, sagte ich mir: Wenn die Alten ihr Haar mit so viel Öl tränkten, so hatten sie irgendeinen Grund dazu. Denn die Alten sind und bleiben die Alten! Trotz der Anmaßung der Modernen bin ich der Meinung Boileaus über die Alten. Davon bin ich ausgegangen. Und dem kleinen Bianchon, deinem Vetter, dem Studenten der Medizin, verdanke ich's weiterhin, daß ich gerade auf das Nußöl gekommen bin. Er hat mir nämlich erzählt, er und seine Kameraden hätten in der Schule Nußöl als Bartwuchsmittel angewandt. Wir brauchen jetzt nur noch die Bestätigung des berühmten Vauquelin. Mit seinem Gutachten kann von einer Täuschung des Publikums keine Rede sein. Vorhin war ich bereits bei einer Nußhändlerin, Frau Madou, wegen des Rohmaterials. Jetzt gehen wir zu einem der ersten Gelehrten Frankreichs, der uns über die Verarbeitung aufklären wird. Sprichwörter sind gar nicht so dumm! ,Die Extreme berühren sich‘, heißt es. Siehst du, mein Junge! Der Handel ist der Vermittler zwischen der Natur und ihren Produkten und der Wissenschaft! Frau Madou erntet, Vauquelin experimentiert, und wir verkaufen das Resultat. Ein Pfund Nüsse kostet fünf Sous. Vauquelin verhundertfacht ihren Wert, und wir leisten der Menschheit vielleicht einen Dienst. Denn da die Eitelkeit den Leuten große Sorge verursacht, ist ein gutes Schönheitsmittel eine Wohltat.«
Die heilige Bewunderung, mit der Popinot dem Vater seiner Cäsarine zuhörte, erhöhte Birotteaus Beredsamkeit; er erlaubte sich die kühnsten Phrasen, die sich ein Laie überhaupt leisten kann.
»Sei ehrfurchtsvoll, Anselm!« sagte er, als die Droschke in die Straße einbog, wo Vauquelin wohnte; »wir stehen im Begriff, in ein Heiligtum der Wissenschaft zu treten. Stelle die Madonna auf einen Stuhl im Eßzimmer, so daß sie in die Augen fällt! Hoffentlich gerate ich mit meiner Rede nicht aus dem Konzept. Dieser Vauquelin regt mich geistig und körperlich auf! Ich bin ganz befangen. Er ist mein Wohltäter, Anselm, und in wenigen Augenblicken wird er auch deiner sein!«
Bei diesen Worten überlief's den kleinen Popinot eiskalt; als sie ausstiegen, zitterten ihm die Knie. Unruhig schaute er die Mauer des Hauses hinauf.
Vauquelin war in seinem Arbeitszimmer, als ihm Birotteau gemeldet wurde. Der Akademiker wußte, daß der Parfümeur Stadtverordneter war und sehr in Gunst stand. Er nahm ihn an.
»So haben Sie mich also in Ihrem Glück nicht vergessen?« fragte der
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