Cäsar Birotteau (German Edition)
Hause fahren! Reden Sie statt meiner mit Cölestin! Lieber Freund, sagen Sie ihm, daß für mich und meine Frau die ganze Existenz auf dem Spiele steht! Meine Frau darf um Himmels willen von Roguins Verschwinden nichts erfahren. Sprechen Sie mit meiner Tochter, daß sie verhindern hilft, daß man ihrer Mutter von der Sache erzählt.«
Die Veränderung der Stimme Birotteaus ergriff Crottat tief. Er erfaßte die Schwere der Situation und erfüllte die geäußerten Wünsche. Cölestin und Cäsarine vermochten vor Schreck nicht zu sprechen, als sie Cäsar wie vom Donner gerührt in der Droschke sitzen sahen.
»Ich rechne auf Ihre Diskretion, Crottat!« stammelte Birotteau.
»Gott sei Dank, er kommt wieder tu sich! Ich dachte, er stürbe!« rief Crottat.
Man teilte Frau Birotteau mit, Cäsar habe eine Art Schlaganfall erlitten.
»Kein Wunder!« rief sie aus, ohne die Tragweite des Unglücks im geringsten zu ahnen; »seit acht Wochen arbeitet er wie ein Wilder, als ob uns das tägliche Brot fehlte! Und seine gewohnte Kur hat er dies Jahr zu Anfang des Winters auch nicht gemacht!«
Birotteau wurde zu Bett gebracht. Man schickte nach dem Doktor Haudry, dem alten Hausarzt. Das war einer aus Molières Schule, ein alter Praktikus und Freund der althergebrachten Rezepte. Er kam, untersuchte den Kranken und verordnete ihm Senfpflaster auf die Fußsohlen. Er konstatierte Blutandrang zum Gehirn.
»Wie ist das nur gekommen?« fragte Konstanze.
»Die feuchte Witterung!« meinte er. Cäsarine hatte ihn heimlich ein wenig instruiert. Bisweilen gehörte es zur Pflicht eines Arztes, zur Schonung der Angehörigen eines Kranken Komödie zu spielen. Haudry hatte so viel in seiner Praxis erlebt, daß er nach wenigen Worten im Bilde war. Cäsarine folgte ihm, als er ging, auf die Treppe und bat ihn um Verhaltungsmaßregeln.
»Ruhe und nicht reden lassen! Sobald der Kopf wieder frei ist, bekommt er kräftige Nahrung!«
Zwei Tage lang brachte Frau Birotteau am Bette ihres Gatten zu. Zuweilen glaubte sie, er sei wahnsinnig geworden. Er phantasierte von Dingen, die sie nicht verstand, von Verschwendung, Luxus, den neuen Möbeln, von übermäßigem Aufwand und so weiter. Einmal richtete er sich im Bett auf und sagte mit feierlicher Stimme Paragraphen aus dem Handelsgesetze her.
Er ist verrückt geworden! sagte sich Konstanze.
Nach drei schrecklichen Tagen siegte die starke Natur des Tourainer Bauernsohnes über die Gefahren, die seinen Verstand bedroht hatten. Seine Gedankenwelt hellte sich auf. Haudry ließ ihm kräftigere Kost geben. Nach zu rechter Zeit verabreichtem starken Kaffee war Birotteau wieder auf den Beinen.
Die ermattete Konstanze legte sich an seiner Stelle hin, um sich auszuschlafen.
»Arme Frau!« seufzte Cäsar, indem er die Schlafende betrachtete.
»Mut, Vater! Du bist ein so kluger Mann, daß du alles überwinden wirst! Anselm steht dir sicherlich auch bei!« tröstete ihn Cäsarine voll sanfter Zärtlichkeit, die ihm unsagbar wohltat.
»Ja, mein liebes Kind, ich will kämpfen! Erzähle niemandem etwas, auch nicht Popinot oder Onkel Pillerault! Ich will zuvörderst einmal an meinen Bruder schreiben. Er ist Vikar oder Kanonikus an der Kathedralkirche zu Tours. Er lebt sparsam und braucht nichts. Er muß Geld haben. Wenn er sich jährlich tausend Taler gespart hat, so muß er jetzt – nach zwanzig Jahren – hunderttausend Francs besitzen. In der Provinz haben die Priester auch Kredit.«
Cäsarine setzte einen kleinen Tisch vor Cäsar hin und holte Schreibzeug und Briefpapier. In der Eile erwischte sie von dem Rosapapier der Balleinladungen.
»Verbrenne den Kram!« rief Birotteau. »Der Teufel hat mich geritten, daß ich den Ball gegeben habe! Wenn ich den Ruin nicht aufhalten kann, wird man mich dieses Festes wegen für einen Betrüger halten. Still, Cäsarine, es ist so! Es gibt keine Entschuldigung!«
Birotteau schrieb:
Mein lieber Bruder!
Ich stecke in einer Geschäftskrise, die so mißlich ist, daß ich Dich auf das inständigste bitten muß, mir alles Geld, über das Du verfügst, zu schicken. Wenn es sein muß, leihe Dir welches!
Ganz Dein Cäsar.
Deine Nichte, die mir, während meine arme Frau schläft, beim Schreiben dieser Zeilen zusieht, läßt Dich herzlichst grüßen!«
Die Nachschrift ward auf Cäsarines Bitte hinzugefügt. Als sie den Brief hinunterschaffte, damit er auf die Post käme, trat ihr Joseph Lebas entgegen. Sie führte ihn hinauf.
»Lieber Vater, Herr Lebas wünscht dich zu
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