Cäsar Birotteau (German Edition)
erkundigt habe, notariell gemacht werden... Richter Popinot hat mir gesagt... Die Quittung ... Aber warum fragen Sie eigentlich?«
»Warum ich frage? Um zu erfahren, ob Ihre zweihundertzwanzigtausend Francs in Roguins oder Claparons Händen sind. Sie sind ein langjähriger Freund von Roguin; vielleicht hat er deshalb Ihr Geld ordnungsgemäß an Claparon gezahlt. Wenn er diese Rücksicht gehabt hat, dann kommen Sie mit einem blauen Auge davon. Unsinn! Er ist mit Ihrem Gelde genau so durchgebrannt wie mit den Hunderttausend Claparons. Mehr hat der glücklicherweise nicht angezahlt. Roguin ist flüchtig. Von mir hat er eine Anzahlung von hunderttausend Francs für sein Notariat, worüber ich auch keine Quittung habe. Die Verkäufer Ihrer Grundstücke haben bisher keinen roten Heller bar bekommen. Auch das auf Ihre Fabrik aufgenommene Geld ist höchstwahrscheinlich verloren. Roguin war schon lange finanziell total ruiniert. Ihr ihm anvertrautes Depot von hunderttausend Francs ist längst weg; ich erinnere mich, es ihm von der Bank geholt zu haben...«
Cäsars Pupillen erweiterten sich dermaßen, daß er nur noch eine einzige rote Flamme sah. Crottat fuhr fort:
»Ihre hunderttausend Francs von der Bank, meine hunderttausend für sein Notariat und Claparons hunderttausend – diese dreihunderttausend sind zum Teufel. Über das andere bin ich nicht orientiert. Wer weiß, was für Gaunereien man noch entdecken wird! Frau Roguin ist ganz außer sich. Du Tillet hat die Nacht bei ihr zugebracht. Er ist übrigens mit heiler Haut davongekommen. Roguin hat ihm vier Wochen lang zugesetzt, er solle sich an der Spekulation beteiligen, aber zu seinem Glück saß all sein Geld im Hause Nucingen fest... Seit fünf Jahren wüstete Roguin mit den Geldern seiner Klienten, und der Grund ? Seine Mätresse war die schöne Holländerin. Vierzehn Tage vor seinem letzten Streich hat sie ihn sitzen lassen. Eine tolle Verschwenderin. Wo sie hin ist, weiß man nicht. Man sagt, sie sei ermordet worden... Von Frau Roguin wird nichts zu erwarten sein. Außer einer Hypothek, die Vorbehaltsgut von ihr ist, besitzt sie nichts. Das Haus ist über den Wert hinaus belastet... Roguins Gläubiger werden keine dreißig Prozent retten ... So ein alter Kerl von neunundfünfzig Jahren hält sich ein junges Weibsbild aus! Es ist nicht zu glauben!«
Crottat hätte noch lange schwatzen können. Aus Birotteau war alles Leben gewichen. Jedes Wort traf ihn wie ein Keulenschlag. Es war ihm, als läuteten die Totenglocken und als stände die ganze Welt in Flammen. Unbeweglich und leichenblaß stand er da. Crottat erschrak vor seinem Aussehen. Er ahnte nicht, daß Cäsar mehr als sein Vermögen verlor, daß der fromme Mann Selbstmordgedanken hatte! Wenn einen der Tod tausendfältig anstarrt, ist nichts natürlicher, als sich eine Todesart freiwillig zu wählen.
Crottat reichte Birotteau den Arm und wollte ihn fortführen. Unmöglich: die Beine versagten, sie rutschten ihm davon wie einem Betrunkenen.
»Was ist Ihnen denn ?« fragte Crottat. »Verehrter Herr Birotteau, nur Mut! Es geht ja nicht ans Leben! Übrigens sind vierzigtausend Francs gerettet. Die Hypothek ist nicht rechtsgültig. Sie ist gar nicht zur Auszahlung und gerichtlichen Eintragung gelangt, folglich wird Ihnen diese Summe zweifellos gerettet!«
»Mein Ball!« jammerte Birotteau. »Zweihunderttausend in Wechseln im Umlauf und nichts in der Kasse! Ach, wie recht hatten Ragons, Pillerault und Konstanze!«
Seine Gedanken verwirrten sich von neuem. Er war maßlos unglücklich.
»Ich wollte, ich stürzte tot zu Boden!« sagte er vor sich hin.
»Armer Herr Birotteau!« bedauerte ihn sein Begleiter; »ist es denn so schlimm?«
»Schlimm?«
»Nur Mut! Nicht werfen lassen! Kämpfen!«
»Kämpfen?« wiederholte der Unglückliche. »Wissen Sie«, sagte er nach einer Weile, »ich möchte in dem Zustande, in dem ich jetzt bin, nicht nach Hause kommen. Sie ... der Sie ... wenn es überhaupt Freunde im Leben gibt... der Sie mein Freund sind ... der Sie in meiner Familie verkehrt haben.,. fahren Sie mit mir ein Stück spazieren ... nehmen wir eine Droschke ... begleiten Sie mich...«
Der angehende Notar bugsierte den hilflosen Gegenstand, der Cäsar Birotteau hieß, mit vieler Mühe in eine Droschke.
»Alex!« sagte Birotteau mit unter Tränen erstickter Stimme. Die Tränen, die nunmehr seinen Augen entquollen, lockerten ein wenig das eiserne Band, das sein Hirn umklammert hatte. »Alex, wir wollen nach
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