Cäsar Birotteau (German Edition)
Gutachten eines so tüchtigen Juristen verlieh Birotteau wieder ein wenig Mut. Er bat Derville, die Sache zu beschleunigen und binnen vierzehn Tagen zu erledigen. Der Anwalt erwiderte, er hoffe, noch vor Ablauf eines Vierteljahres ein Urteil zu erlangen, das die Hypothek für ungültig erkläre.
»In einem Vierteljahr?« wiederholte der Parfümhändler enttäuscht.
»Selbst wenn wir es erreichen«, erklärte Derville, »daß der Prozeß rasch geführt wird, so sind wir doch nicht imstande, die Gegenpartei so eilig zu machen, wie wir sind. Der Gegner wird vielleicht sogar versuchen, die Sache hinzuschleppen. Es geht nicht alles so, wie man es haben möchte, lieber Herr Birotteau.«
»Aber das Handelsgericht...«
»Gewiß, gewiß!« meinte der Anwalt lächelnd. »Es geht alles seinen Gang. Die Justiz hat Formalitäten, und diese Formalitäten sind die Schutzengel der Gerechtigkeit. Möchten Sie denn ein übereiltes Urteil, durch das Sie um Ihre vierzigtausend Francs kämen? Ihr Gegner kämpft ebenso um das Geld wie Sie! Die Termine sind die Folterkammern der modernen Justiz.«
»Sie haben recht!« sagte Birotteau und empfahl sich, den Tod im Herzen.
Alle haben sie recht! sagte er zu sich selbst. Geld ist die Losung! Geld! Geld! Laut mit sich redend ging er durch die Straßen, durch das brandende, brodelnde Leben von Paris.
Als er heimkam, meldete ihm der Lehrling, der die Rechnungen ausgetragen hatte, daß man allerorts angesichts des nahen Jahresabschlusses die Quittungen zurückgewiesen und nur die Rechnungen behalten habe.
»Es gibt also nirgends Geld!« stöhnte Cäsar laut. Er biß sich auf die Lippen, als er sah, wie die Kommis alle auf ihn blickten.
So vergingen fünf Tage, während welcher Zeit Braschon, Lourdois, Thorein, Grindot, Chaffaroux, alle die unbefriedigten Gläubiger, jene chamäleonfarbigen Phasen durchmachten, die Gläubigern beschieden sind, ehe sie sich resigniert in ihr Schicksal ergeben. In Paris ist die abtötende Bewegung des Mißtrauens genau so hastig, wie die Leben spendende Bewegung des Vertrauens langsam vor sich geht. Ist der Gläubiger einmal in die Strömung der Besorgnisse und kaufmännischen Vorsichtsmaßregeln geraten, so verfällt er den übelsten Niederträchtigkeiten und sinkt moralisch tiefer als sein Schuldner. Von sauersüßer Höflichkeit gingen die Gläubiger zu roter Ungeduld, zu dem dumpfen Geräusch der Belästigung, zu den lauten Ausbrüchen getäuschter Erwartung, zu der blauen Kälte harter Entschlüsse und endlich zu der schwarzen Grobheit gerichtlicher Vorladungen über. Der reiche Tapezierer Braschon aus der Vorstadt Saint-Antoine, der seinerzeit keine Balleinladung bekommen hatte, schlug, in seiner Eitelkeit gekränkt, zu allererst Lärm. Er verlangte, binnen vierundzwanzig Stunden bezahlt zu werden; er begehrte eine Sicherheit, und zwar eine hypothekarische auf das Fabrikgrundstück in der Vorstadt.
Birotteau kam inmitten all der Behelligungen kaum zum Verschnaufen. Anstatt aber dem ersten Ansturm feste Entschlossenheit entgegenzusetzen, verbrauchte Cäsar seine Intelligenz, um zu verhindern, daß seine Frau, die einzige Person, die ihm hätte raten können, von der Lage erführe. Cäsar stand fortwährend auf Posten im Laden. Dagegen hatte er Cölestin in das Geheimnis seiner »momentanen« Geschäftsverlegenheit eingeweiht. Crevel musterte ihn mit einem ebenso neugierigen wie erstaunten Blick, Der Prinzipal schrumpfte in seinen Augen arg zusammen. Erst im Unglück verrät sich die wahre Größe eines Menschen. Die ganze Kraft mittelmäßiger Köpfe im Glück beruht lediglich auf ihrer geschäftlichen Routine. Ohne die zu einer planmäßigen Verteidigung auf so vielen gleichzeitig bedrohten Punkten erforderliche Energie und Überlegenheit zu besitzen, hatte Cäsar doch wenigstens den Mut, seine Lage ernstlich zu betrachten. Ultimo Dezember und zum 15. Januar brauchte er für die fälligen Wechsel, für Miete, für Haus und Geschäft insgesamt sechzigtausend Francs, für den letzten Dezember allein dreißigtausend. Alle seine Hilfsmittel ergaben indessen kaum zwanzigtausend. Es fehlten ihm zunächst somit zehntausend Francs. Cäsar taxierte seine Lage durchaus noch nicht für hoffnungslos. Mit einem gewissen abenteuerlichen Optimismus sah er nicht weiter als auf das Nächstkommende. Er beschloß daher, noch ehe sich das Gerücht von seinen Zahlungsschwierigkeiten allgemein verbreitete, einen grand coup – wie er sich sagte – zu wagen, nämlich: sich
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